
- Was sind Zeit und Raum?
- Aristoteles: Zeit und Veränderungen
- Augustinus: Zeit als Erinnerung und Erwartung
- Newton: Raum und Zeit als ewige Konstanten
- Leibniz: Zeit als Beziehung zwischen Ereignissen
- Kants Vorstellung von Zeit
- Bergson: Zeit als Illusion
- Heidegger: Zeit als Bedingung des Daseins
- Russell & Quine: Eternalismus und Determinismus
- Einstein: Relativität der Zeit
- Prior: Zeit als Fluss (Presentismus)
- Hat Zeit einen Anfang?
- Gab es etwas vor der Zeit?
„Was also ist ‚Zeit‘? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich es einem Fragenden aber erklären, so weiß ich es nicht.“ — Augustinus1
Mit dieser Frage bewegen wir uns nun weg von der Erkenntnistheorie hin zur sogenannten Metaphysik (von griechisch „das, was nach der Physik kommt“).
Metaphysik ist ein Teilgebiet der Philosophie, das sich mit dem „Unsichtbaren“ beschäftigt – mit den ganz grundlegenden Fragen über das Sein, die Realität und das, was hinter der physischen Welt liegt. Es geht darum, zu verstehen, was die Welt im tiefsten Inneren zusammenhält. Warum existieren wir? Warum gibt es überhaupt etwas? Metaphysische Fragen untersuchen oft das, was wir als selbstverständlich hinnehmen – zum Beispiel Zeit und Raum. Beides, insbesondere aber die Zeit, wollen wir uns heute genauer anschauen.
Während ich diese Zeilen hier schreibe, fragt mich mein Mann (kein Meta-, sondern ein Biophysiker), warum wir uns mit solchen Fragen denn überhaupt herumschlagen. Er liebt klare, eindeutige Ergebnisse und versteht nicht, warum man Zeit mit etwas verschwenden sollte, das zu nichts führt.
Es erschien mir zwecklos, ihn zu fragen, was es denn genau bedeutet, Zeit zu verschwenden. Statt die Tür zur Philosophie zu schließen, stieß er sie weiter auf, ohne es zu bemerken. Aber zum Glück liebe ich andere Seiten an ihm. Denn selbst wenn wir nie eine endgültige Antwort erlangen können, entwickeln wir mit der Frage nach dem Wesen unserer Realität eine tiefere Verbundenheit zu unserer Welt und lernen vielleicht, die Rätsel des Lebens mit mehr Gelassenheit und Weitblick zu betrachten.
Also lasst uns gemeinsam etwas Zeit verlieren. Zeit ist ja zum Glück kein Geld. Oder doch? Philosophie endet nie …
Was sind Zeit und Raum?
Max und Lena schoben die knarrende Holztür zum Wohnzimmer ihrer Großeltern auf. Irgendwas war anders als sonst. Der vertraute Klang fehlte. „Die Uhr … sie tickt nicht“, sagte Max erstaunt und sah zur schweren Pendeluhr an der Wand. Das laute Ticken, das immer das Herz des Raums zu sein schien, war verstummt.
„Oh Mann, die steht ja wirklich“, sagte Lena und beugte sich näher heran, um die reglose Pendeluhr zu betrachten. „Opa hat bestimmt vergessen, sie aufzuziehen.“
Max setzte sich grinsend auf das alte Ledersofa. „Vielleicht ist ja nicht die Uhr stehen geblieben, sondern die Zeit!“
Lena lachte und schüttelte den Kopf. „Na klar, Max. Die Zeit ist einfach so stehen geblieben, während wir hier Kuchen gegessen haben.“
„Warum nicht? Stell dir vor, es gibt plötzlich keine Zeit mehr! Kein Mathe, keine Schule … das wär doch der Hammer!“ Er grinste noch immer, doch dann legte sich ein nachdenklicher Ausdruck auf sein Gesicht. „Aber mal ehrlich, Lena … Was wäre, wenn die Zeit wirklich stehen bleibt?“
Lena setzte sich neben ihn und schaute ihn an. „Das ist gar keine so blöde Frage. Weißt du, in der Philosophie gibt es viele Theorien über die Zeit. Manche glauben, dass Zeit etwas ist, das außerhalb von uns existiert, wie eine unsichtbare Linie, auf der alles passiert. Aber andere denken, dass es Zeit nur in unseren Köpfen gibt.“
„Wie soll das gehen? Wir haben doch Uhren“, entgegnete Max und deutete auf die stille Pendeluhr. „Wenn Zeit nur in unserem Kopf wäre, wieso können wir sie dann messen?“
„Tja“, sagte Lena und lehnte sich zurück, während sie nachdenklich an die Zimmerdecke starrte und nach den richtigen Worten suchte. „Manche Philosophen, wie zum Beispiel Kant, glauben, dass Zeit einfach eine Art ist, wie wir Menschen die Welt ordnen.“
Max runzelte die Stirn. „Also … ohne uns gäbe es keine Zeit? Das kann ich mir nicht vorstellen.“
Lena lächelte. „Ich weiß, das klingt verrückt. Aber denk mal drüber nach: Wenn wir schlafen oder träumen, fühlt sich Zeit manchmal ganz anders an. Manchmal denkst du, du hast Stunden geträumt, und es sind nur ein paar Minuten vergangen. Zeit kann sich echt unterschiedlich anfühlen.“
„Hm … das ist wahr“, murmelte Max. „Und was sagen andere Philosophen dazu?“
„Na ja, viele denken, dass Zeit wie ein Fluss ist, der ständig fließt. Aber dann gibt’s auch moderne Physiker wie Einstein, die sagen, dass Zeit relativ ist. Je schneller du dich bewegst oder je stärker die Schwerkraft ist, desto langsamer vergeht die Zeit. In einem Flugzeug zum Beispiel vergeht die Zeit minimal langsamer als am Boden.“
Max rieb sich das Kinn. „Also vergeht die Zeit unterschiedlich, je nachdem, wo man ist? Das ist ja abgefahren.“
Lena nickte. „Ja, und genau das zeigt uns, dass Zeit vielleicht nicht so einfach ist, wie wir immer denken. Zeit ist nicht nur das Ticken einer Uhr. Sie hängt von uns ab, von der Bewegung, von der Umgebung.“
„Und was ist mit diesem Raum hier?“ Max deutete auf das alte Wohnzimmer, das so vertraut war, als hätte sich hier nie etwas verändert. Als wäre es in der Zeit eingefroren. „Wenn die Zeit wirklich stehen bleiben würde, wäre alles dann wie jetzt? Einfach still?“
Lena ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. „Vielleicht … oder vielleicht würden wir es nicht einmal bemerken, weil wir Zeit nur durch Veränderung wahrnehmen. Ohne Veränderung gibt es keinen Unterschied zwischen gestern, heute und morgen.“
Max dachte einen Moment nach. „Also … wenn nichts passiert, gibt es auch keine Zeit?“
„Genau. Ohne Bewegung keine Zeit. Das ist eine der klassischen Fragen der Philosophie: Was ist Zeit überhaupt? Und wie erleben wir sie? Manche sagen, sie ist nur eine Art, wie wir Veränderungen messen.“
„Und andere glauben, dass sie eine feste Größe ist“, fügte Max hinzu, dem die ganzen neuen Ideen sichtlich durch den Kopf schwirrten.
Lena legte ihre Hand auf seine Schulter. „Exakt. Und die Frage, die uns bleibt, ist: Was stimmt? Gibt es die Zeit wirklich, oder ist sie nur etwas, das wir uns ausgedacht haben, um die Welt zu verstehen?“

Obwohl sie komplett verschieden sind, haben Zeit und Raum etwas gemeinsam: In ihnen geschieht alles.
Philosophen haben sich schon lange gefragt, ob Zeit und Raum ohne uns existieren. Das ist gar nicht so leicht zu beantworten, denn man kann die Zeit ja nicht sehen, oder? Aber wir wissen, dass es Dinge gibt, die man auch nicht sehen kann, wie die Liebe oder Luft. Du spürst sie, aber sie sind unsichtbar. Genauso ist es mit der Zeit: Du siehst nicht die Zeit selbst, aber du siehst, wie Dinge altern, kaputtgehen oder wie du selbst älter wirst.
Nehmen wir zum Beispiel dein Handy. Wenn du es kaufst, ist es neu und funktioniert perfekt. Nach einer Weile jedoch fängt es an, Kratzer zu bekommen, vielleicht wird der Akku schwächer – das sind Anzeichen der Zeit. Die Zeit selbst siehst du auch diesmal nicht, aber ihre Wirkung.
In Tausenden von Jahren haben verschiedene Philosophen über Zeit und Raum gebrütet, und hier sind einige der wichtigsten Ideen, die euch zeigen, wie man über Zeit nachdenken kann:
Aristoteles: Zeit und Veränderungen
Der griechische Philosoph Aristoteles (*384 v. Chr.) meinte, dass Zeit mit Veränderungen verbunden ist, wie dem Sonnenstand im Tagesverlauf. Vielleicht hast du schon mal eine Sonnenuhr gesehen? Ohne Bewegung gibt es für Aristoteles keine Zeit. Stell dir vor, es gäbe keine Veränderung – keine Sonne, die auf- oder untergeht, keine Jahreszeiten. Dann könnten wir die Zeit gar nicht wahrnehmen.

Augustinus: Zeit als Erinnerung und Erwartung
Der christliche Philosoph Augustinus (*354) machte sich ebenfalls viele Gedanken über die Zeit. Für ihn gab es drei Zeiten in unserem Bewusstsein: die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Aber gibt es die Vergangenheit und die Zukunft überhaupt? Wo gibt es sie? Augustinus sagt, dass das, was wir Vergangenheit nennen, unsere Erinnerung an Dinge ist, die gewesen sind. Die Zukunft hingegen ist unsere Erwartung dessen, was kommen wird.
Unsere Fähigkeit, uns zu erinnern und unsere Gedanken in die Zukunft zu richten, ist für uns Menschen und unser Verständnis der Welt von enormer Bedeutung. Stell dir vor, du könntest dich nicht mehr daran erinnern, was in deinem Leben passiert ist, oder keine Pläne für die Zukunft machen. Wir wären völlig im Hier und Jetzt gefangen.
Newton: Raum und Zeit als ewige Konstanten
Nach dem englischen Naturwissenschaftler Isaac Newton (*1642) existieren Raum und Zeit unabhängig von dem, was sie enthalten. Sie sind Substanzen (von lateinisch substantia = „Wesen“) und existieren aus sich selbst heraus. Egal, was passiert und ob Menschen die Zeit wahrnehmen oder nicht – sie vergeht gleichmäßig.
Leibniz: Zeit als Beziehung zwischen Ereignissen
Ganz anders sah das der deutsche Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (*1646): Er glaubte, dass Raum und Zeit nur Beziehungen zwischen Dingen und Ereignissen sind. Seiner Meinung nach ist der Raum zum Beispiel die Beziehung zwischen der Erde und der Sonne. Und die Zeit drückt sich zum Beispiel darin aus, wie lange die Erde braucht, um zu ein und demselben Punkt ihrer Umlaufbahn zurückzukehren. Entfernt man diese Beziehungen, so Leibniz, gibt es die Begriffe Raum und Zeit nicht.

Kants Vorstellung von Zeit
Immanuel Kant (*1724) fragte sich, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit unsere Erfahrungen einen Sinn ergeben. Eine Bedingung für ihn ist, dass sie in Raum und Zeit geordnet sind. Wenn Ereignisse ungeordnet sind, verstehen wir sie nicht — zum Beispiel, wenn die Wirkung vor der Ursache eintritt. Stell dir vor, du würdest plötzlich eine kaputte Fensterscheibe sehen und erst danach einen Ball, der durch die Luft fliegt. Das wäre verwirrend, weil unser Verstand die Logik der Reihenfolge braucht, um solche Ereignisse zu verstehen.
Die Zeit ist für uns nach Kant also eine Art Werkzeug, und ohne uns gäbe es sie nicht.
Und hier machen wir einen kurzen Abstecher zurück zur Erkenntnistheorie: Kant war nicht der Meinung, dass wir Wissen allein aus Sinneseindrücken gewinnen. Wie die Rationalisten glaubte er an ein angeborenes Wissen. Dass die Zeit vergeht, lernen wir nach Kant nicht aus unserer Erfahrung. Unsere Vorstellungen von Raum und Zeit müssen Kant zufolge angeboren sein.
Bergson: Zeit als Illusion
Der französische Philosoph Henri Bergson (*1859) sah die Zeit ganz anders als viele vor ihm. Er meinte, es gibt zwei Arten, Zeit zu erleben: Die Zeit, die auf der Uhr vergeht, ist messbar, aber in Zahlen gepresst ist sie kalt und unpersönlich. Viel wichtiger fand er die „gelebte Zeit“ – die Zeit, wie wir sie innerlich erfahren: Sie ist immer anders, je nachdem, wie wir uns fühlen oder was wir gerade tun. Stell dir vor, du sitzt in einer superlangen Mathe-Stunde. Du schaust ständig auf die Uhr, aber die Zeit scheint einfach nicht zu vergehen. Dann gibt’s Tage, wo du dich mit Freunden triffst und die Stunden verfliegen, als wären es nur Minuten.
Für Bergson ist diese gefühlte Zeit viel echter als das Ticken einer Uhr. Er sagte, dass die Zeit, die man in seinem Inneren spürt, lebendig ist – sie kann sich ausdehnen oder zusammenziehen, je nachdem, wie du sie erlebst. Wenn du auf etwas wartest, das dir wichtig ist, fühlt sich die Zeit ewig an. Aber wenn du etwas tust, was dir Freude macht, rast sie nur so dahin.
Bergson wollte damit sagen, dass wir Menschen oft zu sehr auf die Uhrzeit fixiert sind, obwohl das nicht wirklich widerspiegelt, wie wir Zeit tatsächlich fühlen. Diese „gelebte“ Zeit spiegelt unsere Emotionen wider, wie wir den Moment erleben – sie ist einzigartig für jeden Einzelnen.
Heidegger: Zeit als Bedingung des Daseins
Auch der deutsche Philosoph Martin Heidegger (*1889) versuchte, beim Nachdenken über Zeit über das bloße Ticken der Uhr hinauszugehen. In „Sein und Zeit“ geht er der Frage nach, was es bedeutet, zu existieren – was „Sein“ wirklich ist. Für ihn ist Zeit dabei zentral.
Heidegger klingt auf den ersten Blick ein bisschen wie Bergson. Beide beginnen mit der Idee, dass Zeit erlebt wird. Aber Heidegger meint etwas anderes, etwas Grundsätzlicheres. Bergson fragt: Wie fühlt sich Zeit für uns an? Heidegger fragt: Warum spielt Zeit für unser Leben überhaupt so eine große Rolle?
Für Heidegger ist Zeit nicht einfach „das, was vergeht“, sondern etwas, das in jedem Moment unser Leben formt. Unsere Vergangenheit steckt in uns: Erfahrungen, Peinlichkeiten, Erfolge, Fehler – sie bestimmen, wie wir die Welt sehen. Unsere Zukunft zieht uns ständig nach vorne: Pläne, Hoffnungen, Ängste, Entscheidungen. Und unsere Gegenwart ist der Moment, in dem wir versuchen, mit beidem klarzukommen.
Ein Beispiel: Wenn du kurz vor deinem Schulabschluss stehst, macht dich nicht die Uhr nervös, sondern die Möglichkeit, dass dein Leben bald anders aussehen könnte. Diese Zukunft wirkt jetzt auf dich ein. Du bist unruhig, entscheidest, ob du lernst, chillst oder prokrastinierst.
Diese Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist für Heidegger die eigentliche Zeit.
Während für Bergson Zeit etwas ist, das wir innerlich spüren (langsam, schnell, zäh, fließend), ist Zeit für Heidegger etwas, das uns dazu bringt, so zu leben, wie wir leben. Ohne Zeit könnten wir keine Entscheidungen treffen, keine Pläne machen, keine Ziele haben.
Oder, ganz kurz: Bergson denkt über das Zeitgefühl nach. Heidegger darüber, wie Zeit unser ganzes Leben strukturiert. Und zwar nicht im Kalender, sondern in unseren Möglichkeiten.
Russell & Quine: Eternalismus und Determinismus
Max und Lena stehen nebeneinander in der Küche und kümmern sich um den Abwasch. Draußen ist es schon dunkel, und die Straßenlaternen werfen lange Schatten durch das Fenster. Max schaut auf die Uhr, die Minuten vergehen scheinbar endlos.
Max (seufzt tief): „Komisch … Manchmal fühlt sich die Zeit an, als würde sie sich ewig hinziehen. Wie bei diesen Abenden, an denen einfach nichts passiert. Aber dann gibt es Tage, die nur so vorbeirasen. Verstehst du, was ich meine?“
Lena (schmunzelt und reicht Max einen nassen Teller): „Klar, dieses Gefühl kennt jeder. Aber weißt du, was Philosophen dazu sagen? Eigentlich bewegt sich die Zeit gar nicht so, wie wir sie erleben. In einer Idee namens ‚Eternalismus‘ gibt es keine wirkliche Vergangenheit oder Zukunft – alles existiert gleichzeitig.“
Max (blickt irritiert auf): „Wie soll das gehen? Ich meine, ich bin jetzt hier, aber gestern war ich im Training, und morgen ist noch weit weg.“
Lena (lächelt, wischt sich die Hände ab): „Genau das ist der Punkt. Stell dir die Zeit wie einen Filmstreifen im Kino vor. Du siehst nur das Bild, das gerade im Projektor ist – das ist deine Gegenwart. Aber die anderen Bilder, die schon gezeigt wurden oder noch kommen, existieren trotzdem. Sie sind einfach auf dem Streifen an einem anderen Ort. In der Philosophie nennen wir das das ‚Block-Universum‘. Bertrand Russell und Willard Quine zum Beispiel haben so darüber nachgedacht.“
Max (runzelt die Stirn): „Das heißt, in diesem Block-Universum gibt es meine Zukunft schon, obwohl ich sie noch nicht erleben kann?“
Lena (nickt, ihre Augen leuchten ein wenig): „Genau! Alles – dein erster Schultag, dein Geburtstag nächstes Jahr – ist wie in einem großen Block, nur an unterschiedlichen Stellen. Für dich fühlt es sich an, als ob die Zeit fließt, weil du dich von einem Punkt zum anderen bewegst, aber tatsächlich ist alles schon da.“
Max (wirft das Geschirrtuch neben die Spüle, seine Augen weit aufgerissen): „Heftig … Also ist die Zukunft schon geschrieben? Wie ein Buch, das ich nur noch lesen muss?“
Lena (schmunzelt und lehnt sich gegen die Theke): „Gute Frage. Viele Eternalisten sagen, dass alles, was passieren wird, schon feststeht – wir sehen es nur noch nicht. Und die Art, wie wir diesen Block erleben, fühlt sich trotzdem spontan an.“
Max (lacht unsicher): „Das ist mir irgendwie nicht geheuer … Aber auch cool. Das heißt, ich könnte theoretisch zu jedem Punkt springen, wenn ich den richtigen Trick hätte?“
Lena (zuckt mit den Schultern): „Naja, Zeitreisen sind noch ein anderes Thema. Aber ja, der Eternalismus würde sagen, dass all diese Momente da sind, egal ob du sie schon erlebt hast oder nicht. Für uns Menschen fühlt sich die Zeit eben anders an, weil wir sie nur Schritt für Schritt wahrnehmen.“
Max (grinst): „Also könnte ich jetzt theoretisch schon mein eigenes Ich von morgen treffen?“
Lena (lacht und streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht): „Kann sein. Und wer weiß, vielleicht denkt es gerade dasselbe über dich.“
Einstein: Relativität der Zeit
Mit seiner Relativitätstheorie hat der Physiker Albert Einstein (*1879) unser Bild von Raum und Zeit ordentlich durcheinandergebracht. Einstein vertrat die Auffassung, dass Raum und Zeit als eine Einheit — als Raumzeit — betrachtet werden müssten, die sich verändert, wenn sich ihre Bedingungen ändern; dass sie also nicht für alle Menschen gleich ist. So verändert sich die Zeit für Dinge, die sich mit sehr hoher Geschwindigkeit bewegen. Für sie vergeht die Zeit langsamer.
Stell dir das so vor: Du hast einen Zwilling. Einer von euch bleibt auf der Erde, während der andere in einem Raumschiff fast mit Lichtgeschwindigkeit durchs Weltall fliegt. Ihr verabredet euch, nach einem Erdenjahr wieder zusammenzukommen. Für den Zwilling auf der Erde vergeht ganz normal ein Jahr, während für den, der im All unterwegs ist, die Zeit viel langsamer vergangen ist – für ihn waren es vielleicht nur ein paar Wochen! Wenn ihr euch dann wiedertrefft, ist der Zwilling, der auf der Erde geblieben ist, älter geworden, während der andere kaum gealtert ist.
Ziemlich spektakulär, oder?

Prior: Zeit als Fluss (Presentismus)
Der Presentismus, vertreten von Philosophen wie Arthur Prior (*1914), besagt, dass nur die Gegenwart real ist. Vergangenheit und Zukunft existieren nicht mehr bzw. noch nicht. Ein Beispiel: Wenn du auf einer guten Party bist und mit deinen Freunden zur Musik tanzt, zählt nur dieser Moment. Gestern existiert nicht mehr, und morgen ist noch nicht real. Für viele von euch ist das Gefühl, dass ein Moment nie wiederkommt, bestimmt vertraut.
Ich vermute, dass diese Vorstellung von Zeit für die meisten von euch am naheliegendsten ist, oder? Wie seht ihr das?
Hat Zeit einen Anfang?
Die Frage, ob die Zeit einen Anfang hat, hat tiefe Auswirkungen auf unser Verständnis der Welt. Sie berührt Themen wie die Entstehung des Universums, unsere Rolle darin und die Grenzen unseres Wissens. Aber die Frage nach dem Anfang der Zeit ist nicht nur kosmisch. Wer sich fragt, ob Zeit einen Anfang hat, denkt automatisch darüber nach, ob auch das eigene Leben einen „Startpunkt“ hat, der mehr ist als nur ein Geburtstag. Oder du merkst plötzlich, dass unser Weltbild nicht selbstverständlich ist; dass selbst Erwachsene nicht alles wissen. Und das kann erleichternd sein: Wenn niemand die Zeit wirklich kapiert, musst du auch nicht alles sofort checken.
Aristoteles: Die Zeit ist ewig
Aristoteles glaubte, dass die Zeit schon immer existiert. Für ihn, das haben wir oben schon gelernt, war Zeit eng mit Bewegung verbunden: Dinge bewegen sich, und diese Bewegung erschafft Zeit. Da es Aristoteles zufolge immer Bewegung im Universum gab, gibt es auch die Zeit schon immer – sie hat keinen Anfang und kein Ende. Stell dir das vor wie ein nie endendes Kreislaufsystem: die Sonne geht immer wieder auf, der Tag folgt der Nacht, und das schon seit Ewigkeiten. Für Aristoteles war die Zeit also etwas, das mit der Welt untrennbar verbunden ist.
Thomas von Aquin: Zeit beginnt mit der Schöpfung
Für Thomas von Aquin (*1225) war Zeit nichts, was schon immer da war – sie entstand erst, als Gott die Welt erschuf. Vor der Schöpfung gab es kein „Davor“, kein Ticken, kein Vergehen – nur Ewigkeit. Erst mit der Bewegung der Welt begann auch die Zeit zu fließen – wie bei einer Uhr, die erst losläuft, wenn jemand sie aufzieht. Für Aquin sind Schöpfung und Zeit also untrennbar: Ohne Welt keine Zeit, und ohne Gott keine Welt.
Max (mit Zahnbürste im Mund): Also … warte mal. Aristoteles sagt: Zeit gibt’s schon immer. Aquin sagt: Zeit startet erst, wenn Gott die Welt erschafft. (Max spuckt aus.) Heißt das einfach nur, dass Aristoteles nicht an Gott geglaubt hat?
Lena (bürstet sich die Haare, schaut ihn im Spiegel an): Gar nicht unbedingt. Der hat schon an eine Art „Gott“ gedacht – nur eben nicht an einen persönlichen, der Entscheidungen trifft oder die Welt baut wie ein Lego-Set.
Max (verwirrt): Sondern?
Lena: Aristoteles’ Gott ist mehr so … der unbewegte Chef der Bewegung. Kein Schöpfer, sondern das perfekte Ding, das alles andere ins Laufen bringt, ohne selbst irgendwas zu tun. Stell dir einen coolen Typen vor, der einfach nur dasitzt und trotzdem alle anderen motiviert, rumzurennen.
Max (grinst): Also ein Gott, der basically chillt und trotzdem wirkt?
Lena (lacht): Genau. Und weil für Aristoteles die Welt schon immer irgendwie vor sich hinläuft, läuft auch die Zeit schon immer mit.
Thomas von Aquin dagegen sagt: Nein nein, Gott hat die Welt erschaffen – also fängt auch die Zeit erst da an. Vorher gab’s kein „Vorher“.Max (zieht die Stirn kraus): Ahhh … also Aristoteles: „Die Welt läuft einfach.“ Aquin: „Gott drückt auf Play.“
Lena: Exakt.
Gab es etwas vor der Zeit?
Platon: Die Welt der Ideen
Platon (*427 v. Chr.) stellte sich vor, dass es eine Welt der „Ideen“ oder „Formen“ gibt, die außerhalb der physischen Welt existiert. Diese Welt ist zeitlos und unveränderlich. In dieser Vorstellung könnte man sagen, dass „vor“ der Zeit etwas existierte – nämlich die Ideen, die ewig und unabhängig von unserer Welt sind. Diese Vorstellung hat eine spirituelle Note, in der das, was „vor“ der Zeit liegt, nichts Physisches ist, sondern eine perfekte und unvergängliche Wirklichkeit.
Augustinus: Gott existiert außerhalb der Zeit
Augustinus stellte eine berühmte Frage: Was war eigentlich mit Gott, bevor die Welt entstand? Seine Antwort klingt ungewohnt, macht aber in seinem Weltbild absolut Sinn: Es gab kein „Vorher“. Zeit beginnt für Augustinus erst mit der Schöpfung des Universums. Ohne Welt keine Bewegung, ohne Bewegung keine Zeit.
Damit verknüpft Augustinus zwei Dinge: Wir Menschen erleben Zeit als eine Abfolge von Momenten — gestern, heute, morgen. Gott dagegen lebt nicht in dieser Abfolge. Für ihn gibt es nur eine einzige, zeitlose Gegenwart.
Das bedeutet: Als die Zeit „anfing“, war Gott nicht plötzlich da, sondern er existierte immer – nur eben auf eine Weise, die mit unserer Zeit nichts zu tun hat. Gott ist für Augustinus nicht Teil des kosmischen Taktgefüges; er steht komplett außerhalb davon.
Immanuel Kant: Zeit ist eine Bedingung unserer Wahrnehmung
Wie wir oben schon gelernt haben, existiert nach Kant die Zeit nicht „außerhalb“ unserer Wahrnehmung. Das bedeutet, dass die Frage, was vor der Zeit war, für ihn nicht wirklich Sinn ergibt. Zeit ist für Kant eine Struktur, die wir benutzen, um die Welt zu verstehen. Ohne uns als bewusste Wesen gäbe es keine Zeit, also auch kein „Vor“ der Zeit.
Stephen Hawking und die moderne Physik: Nichts vor der Zeit
Stephen Hawking argumentierte, dass die Zeit mit dem Urknall begann und dass es kein „Vorher“ gibt; ähnlich wie man sich nicht vorstellen kann, nördlicher als zum Nordpol zu gehen. Diese physikalische Sichtweise sieht die Zeit als eine Dimension, die zusammen mit dem Universum entstand. Vor dem Urknall existierte nichts – keine Materie, keine Energie und auch keine Zeit.

Diese philosophischen Überlegungen beeinflussen nicht nur unser Verständnis des Universums, sondern auch unsere Sicht auf unser Leben. Wenn die Zeit einen Anfang hat, stellt sich die Frage, ob sie auch ein Ende hat – und was das für uns bedeutet. Vielleicht hilft uns die Philosophie dabei, darüber nachzudenken, wie wir unsere Zeit nutzen und was für uns wichtig ist.
Wenn du selbst tiefer in philosophische Überlegungen über Zeit und Raum eintauchen möchtest, kannst du das mit folgenden Werken tun:
- Immanuel Kant – „Kritik der reinen Vernunft“ (1781)
Kant argumentiert, dass Zeit und Raum die grundlegenden Bedingungen unserer Erfahrung sind. Sie existieren nicht unabhängig von uns, sondern sind Formen unseres Bewusstseins, die die Wahrnehmung der Welt ermöglichen. - Aristoteles – „Physik“ (347 v. Chr.)
Für Aristoteles ist Zeit nicht ohne Veränderung oder Bewegung denkbar. - Isaac Newton – „Philosophiae Naturalis Principia Mathematica“ (1687)
Newton beschreibt Zeit und Raum als absolute und unveränderliche Größen, die unabhängig von uns und von Dingen existieren. - Albert Einstein – Relativitätstheorie (1915)
In seiner Relativitätstheorie revolutionierte Einstein unser Verständnis von Raum und Zeit, indem er sie als eine flexible Einheit („Raumzeit“) beschrieb, die sich unter bestimmten Bedingungen verändert. - Henri Bergson – „Zeit und Freiheit“ (1889)
Bergson unterscheidet zwischen der mathematischen Zeit (messbare, räumliche Zeit) und der erlebten Zeit (Dauer). - Martin Heidegger – „Sein und Zeit“ (1927)
Heidegger unterscheidet zwischen dem Alltagsverständnis von Zeit und einer tieferen, existenziellen Zeit. - Leibniz und Clarke – „Korrespondenz“ (1715–1716)
In diesem Briefwechsel argumentiert Leibniz, dass Zeit und Raum nur als Beziehungen zwischen Dingen bestehen, während Clarke die Auffassung von Newton verteidigt, dass Zeit und Raum eigenständig existieren. - Stephen Hawking – „Eine kurze Geschichte der Zeit“ (1988)
Hawking erklärt auf faszinierend einfache Weise die großen Fragen der Physik: Wie begann das Universum? Hat es Grenzen? Und was ist Zeit eigentlich? Dabei verbindet er wissenschaftliche Erkenntnisse mit philosophischen Überlegungen über Ursprung und Sinn des Kosmos.
Diese Werke haben die philosophische Auseinandersetzung mit den Konzepten Zeit und Raum maßgeblich geprägt.
Sapere aude! 🙂
Und jetzt seid ihr wieder dran: Die PhiloLounge gibt euch eine Bühne für euer ganz eigenes Gedanken-Stand-up. Hier gibt es keine falschen Antworten, nur euren persönlichen Blick auf die Welt. Lasst euren Gedanken freien Lauf und teilt sie mit uns — Ich bin gespannt, was ihr zu sagen habt!
Meine Fragen an eure Runde:
- Wenn ihr eine Zeitreise machen könntet, würdet ihr eher in die Vergangenheit oder in die Zukunft reisen, und warum?
- Könnt ihr euch vorstellen, dass es eine Welt gibt, in der die Zeit überhaupt nicht existiert? Wie würde das aussehen?
… Los geht’s!
- Augustinus von Hippo, Confessiones, Buch XI, Kapitel 14 (ca. 397–400 n. Chr.) ↩︎
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