- Zwischen Mythos und Wissenschaft – Was ist Liebe eigentlich?
- Philosophische Perspektiven auf die Liebe
- Liebe und Vernunft: Soll man seinem Gefühl folgen oder nicht?

Zwischen Torte und Tanzfläche
Die Gläser klirren, Stimmen vermischen sich zu einem warmen Summen, und über allem schwebt Claras Lachen – hell, unbeschwert, als hätte sie an diesem Abend keine andere Aufgabe, als froh zu sein. Und vielleicht ist das ja auch so.
Max beobachtet seine Cousine aus der Ferne. Ihre Wangen glühen, ihr frisch angetrauter Ehemann zieht sie auf die Tanzfläche, und für einen Moment scheint es, als wäre die Welt genau so, wie sie sein soll. Max lehnt sich in seinem Stuhl zurück und dreht sein halbvolles Glas in der Hand.
„Clara sieht glücklich aus“, sagt er leise.
Lena, die neben ihm sitzt, nickt. „Ja. So richtig.“
„Krass, oder? Die haben sich irgendwann mal zufällig getroffen, dann verknallt, dann richtig verliebt – und jetzt stehen sie da vorne und versprechen sich, dass sie zusammen alt werden.“
Lena sieht ihn aufmerksam an. „Neidisch?“
Er zuckt mit den Schultern. „Ich find’s irgendwie faszinierend. Und gleichzeitig …“ Er zögert. „Ich versteh nicht, wie man so was überhaupt hinkriegt.“
„So was wie Liebe?“
Er dreht das Glas weiter zwischen seinen Fingern. „So was wie zu wissen, dass man sich darauf einlassen will. Oder kann.“ Dann atmet er einmal tief durch. „Okay, das klingt jetzt kitschig, aber … ich glaub, ich hab mich verliebt.“
Lena blinzelt. „Wow. Das kam jetzt schneller als der Nachtisch. In wen?“
„Emma.“ Max sagt es so beiläufig, als würde er das Wetter kommentieren, aber ein verräterisches Grinsen huscht über sein Gesicht. „Und ja, bevor du fragst: Es ist nicht schlimm. Eigentlich ziemlich gut. Ich mag, wer ich bin, wenn sie da ist. Irgendwie weniger Chaos, mehr … ich.“
Lena legt den Kopf schief. „Und was genau beschäftigt dich dann?“
Max fährt mit dem Daumen über den Glasrand. „Ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll.“ Er lacht kurz. „Ich mein, ich könnte’s ihr sagen. Aber was dann? Vielleicht wird’s schön. Vielleicht auch nicht. Vielleicht passiert null. Oder … vielleicht wär’s am einfachsten, so zu tun, als wär nichts, bis es von allein vorbeigeht.“
Jetzt ist es Lena, die plötzlich sehr still wird.
Max merkt es sofort. „Was ist?“
Lena stochert in ihrer Torte. „Ich kenn das Gefühl. Ziemlich gut sogar.“
„Echt?“
„Mhm.“ Sie zwingt sich zu einem kleinen Lächeln, aber es erreicht ihre Augen nicht ganz. „Da war mal jemand. Ich hätte was sagen können. Hab’s nicht getan.“
„Warum nicht?“
Lena starrt auf die Lichterkette über ihnen. Sie hätte es gern versucht, aber da ist ein Schatten in ihr, ein kleines Ziehen, das sich nicht so einfach überspielen lässt.
„Weil ich Angst hatte“, sagt sie schließlich.
Max wartet.
„Ich dachte, wenn ich’s nicht ausspreche, dann bleibt es irgendwie … sicher. In meinem Kopf war es perfekt. Aber hätte ich es gesagt, hätte ich riskieren müssen, dass es schiefgeht.“ In ihrem Blick liegt etwas Weiches, Nachdenkliches. „Heute wünschte ich, ich hätte mich getraut. Dann hätte ich wenigstens gewusst, woran ich war.“
Max sieht sie an. Dann nickt er langsam.
„Und überhaupt“, sagt er nach einer Weile. „Was ist Liebe eigentlich? Ist das immer so ein Sprung ins Ungewisse?“
Lena betrachtet Clara, die ihren Mann an den Händen hält. So als wären sie sich nicht erst begegnet, sondern hätten sich einfach nur wiedergefunden.
„Vielleicht“, sagt sie leise. „Vielleicht genau das.“

Zwischen Mythos und Wissenschaft – Was ist Liebe eigentlich?
Max lehnt sich nachdenklich in seinem Stuhl zurück und wirft wieder einen Blick auf Clara und ihren Mann, die ausgelassen tanzen.
„Okay“, sagt er schließlich. „Wenn Liebe wirklich so ein Sprung ins Ungewisse ist – wieso fühlt es sich dann an, als wäre es genau das, was wir brauchen?“
Lena, gekonnt geheimnisvoll: „Weil es sich so anfühlen soll.“
„Wie jetzt?“
Sie stützt ihren Ellbogen auf den Tisch. „Max, die Menschen denken seit Jahrtausenden über die Liebe nach. Und weißt du was? Wir haben sie bis heute nicht komplett durchschaut. Aber es gibt Mythen und Erklärungsansätze, die uns helfen, sie ein bisschen besser zu verstehen.“
Max hebt eine Augenbraue. „Philosophie oder Wissenschaft?“
„Beides“, sagt Lena. „Du hast die Wahl: Soll ich dir erst erzählen, was Platon über Liebe gedacht hat? Oder willst du direkt wissen, was in deinem Kopf abgeht, wenn du jemanden toll findest?“
Max überlegt kurz. „Fang mit Platon an. Ich steh auf gute Geschichten.“
Platon und die Suche nach der anderen Hälfte
Lena grinst. „Okay, dann halt dich fest. Das ist einer der schönsten – und seltsamsten – Liebesmythen, die es gibt.“
„Ich bin gespannt.“
„Also, laut Platon gab es ursprünglich nicht zwei, sondern drei Geschlechter: Männer, Frauen und Androgynos – Wesen, die beides waren. Sie hatten vier Arme, vier Beine und zwei Gesichter auf einem Kopf. Diese Kugelmenschen waren superstark, selbstbewusst und, na ja … ziemlich frech. So frech, dass sie die Götter herausforderten.“
Max lacht. „Lass mich raten: Das fanden die Götter nicht so lustig?“
„Überhaupt nicht“, sagt Lena. „Zeus beschloss, sie zu bestrafen – aber nicht, indem er sie tötete. Stattdessen ließ er sie in zwei Hälften spalten. Zack, einfach auseinandergerissen. Und plötzlich stolperten überall halbe Menschen herum, die sich einsam und unvollständig fühlten.“
Max zieht eine Grimasse. „Ganz schön grausam.“
„Vielleicht“, sagt Lena. „Aber daraus entstand etwas, das uns bis heute begleitet: die Sehnsucht nach unserer anderen Hälfte. Platon meinte, dass wir uns verlieben, weil wir instinktiv nach der Person suchen, die zu uns gehört – nach der Hälfte, die uns wieder ganz macht.“
Max schweigt kurz. Dann schnaubt er. „Und wenn man sich verliebt und dann merkt, dass es doch nicht die richtige Hälfte war? Gibt’s Umtauschrecht?“
Lena kichert. „Das ist genau der Punkt. Der Mythos beschreibt ziemlich gut, wie sich Verliebtheit anfühlen kann – dieses Gefühl, dass jemand einen komplett macht. Aber er ist eben auch nur ein Mythos. In echt sind wir keine unvollständigen Kugelmenschen, die irgendwen finden müssen, um glücklich zu sein. Liebe ist komplizierter.“
Platonische Liebe
Max lässt Luft aus seinen Backen wie aus einem Ballon. „Okay, verstehe. Also kein Umtauschrecht. Aber wenn Platon so eine große Nummer in Sachen Liebe ist – warum sagt man dann heute ‚platonische Liebe‘, wenn es gerade keine romantische Liebe ist?“„Das liegt daran, dass Platon nicht nur diesen Kugelmenschen-Mythos erzählt hat, sondern auch eine ganz andere Vorstellung von Liebe entwickelt hat. Und die war ziemlich … ambitioniert.“
Max hebt seinen Kopf. „Ambitioniert? Heißt das, er wollte eine Steuer auf Verliebtheit einführen oder was?“
Lena lacht. „Nicht ganz. Für Platon war Liebe nicht einfach nur eine romantische oder körperliche Sache. Er meinte, dass wahre Liebe eigentlich nichts mit Begehren oder Schmetterlingen im Bauch zu tun hat. Stattdessen ist sie ein Weg, sich selbst und die Welt besser zu verstehen.“
Max blinzelt. „Also … Liebe ohne Verliebtsein?“
„Genau. Platon sprach von einer ‚höheren‘ Form der Liebe – einer, die sich nicht auf äußere Schönheit oder Leidenschaft stützt, sondern auf geistige Verbindung. Er meinte, dass die höchste Form der Liebe darin besteht, das Wahre und Gute zu erkennen – und sich gemeinsam intellektuell weiterzuentwickeln.“
Max gähnt. „Klingt verdächtig nach einem sehr langweiligen Date.“
Lena schüttelt den Kopf. „Kommt drauf an. Stell dir vor, du bist mit jemandem zusammen, mit dem du über alles reden kannst. Jemand, der dich inspiriert, der dich herausfordert, der dich dazu bringt, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Für Platon war das die beste Art von Liebe – eine, die nicht durch Eifersucht oder körperliche Anziehung kompliziert wird.“
Max reibt sich das Kinn. „Hm. Also Liebe als … Denk-Partnerschaft?“
„Kann man so sagen. Das bedeutet aber nicht, dass körperliche Anziehung falsch oder unwichtig ist – nur, dass sie laut Platon nicht das höchste Ziel sein sollte. Wahre Liebe sollte nicht nur impulsiv sein, sondern auch was für den Geist.“
Max überlegt. „Und was, wenn man einfach so verliebt ist, dass man nicht mehr klar denken kann?“
Lena überkreuzt ihre Beine. „Dafür haben wir die Wissenschaft.“

Liebe unter dem Mikroskop – Biologie und Psychologie der Verliebtheit
„Jetzt wird’s nerdig, oder?“, fragt Max.
Lena richtet sich auf und zieht die Schultern zurück. „Definitiv.“
„Na dann, gib mir den vollen Wissenschafts-Cocktail.“
Lena hebt eine imaginäre Liste in die Luft und zeigt mit ihrem Finger darauf. „Also, Punkt eins: Evolution. Warum gibt es Liebe überhaupt? Weil sie uns hilft, stabile Beziehungen zu bilden. Und warum brauchen wir das? Damit wir überleben und unsere Art erhalten.“
Max verzieht den Mund. „Romantisch.“
„Ich weiß. Aber hör zu. Liebe ist nicht einfach nur ein Gefühl, sondern ein richtig cleveres System. Wenn du dich verliebst, läuft in deinem Körper eine ganze Chemie-Show ab.“
Max lehnt sich interessiert nach vorne. „Erzähl.“
„Okay. Erstes Hormon: Dopamin – das Belohnungshormon. Es sorgt dafür, dass du dich total euphorisch fühlst, wenn du an die Person denkst. So eine Art natürlicher Drogenrausch.“
„Cool, ich glaube, das kenne ich. Und was noch?“
„Oxytocin – das Kuschelhormon. Es wird ausgeschüttet, wenn du jemandem nah bist, und macht uns vertrauter miteinander.“
„So wie bei Eltern von Babys, oder? Damit die sich kümmern? Und was ist mit diesem … wie heißt es … Serotonin?“
„Serotonin regelt deine Stimmung, aber wenn du frisch verliebt bist, sinkt es erstmal. Deshalb drehen Verliebte manchmal durch – sie sind emotionaler, können sich schlechter konzentrieren oder essen weniger.“
Max lacht. „Ah, daher die Leute, die nichts mehr runterkriegen, wenn sie verknallt sind.“
Lena nickt. „Genau. Das liegt daran, dass das verliebte Gehirn ein bisschen wie im Ausnahmezustand ist. Ein niedrigerer Serotoninspiegel macht uns obsessiver – wir denken ständig an die Person, die wir toll finden. Das hat vermutlich einen evolutionären Zweck: Wenn uns jemand emotional so wichtig erscheint, dass wir uns kaum auf etwas anderes konzentrieren können, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir dranbleiben und eine Bindung aufbauen.“
Max runzelt die Stirn. „Klingt ja fast wie ein Bug im System.“
„Oder ein ziemlich cleveres Feature.“ Lena grinst. „Denn wenn die Verliebtheit in eine tiefere Bindung übergeht, steigt das Serotonin wieder. Dann fühlen wir uns stabiler – wie in einer sicheren Beziehung.“ Lena nimmt einen Schluck aus ihrem Glas. „Und dann gibt’s noch Adrenalin – das ist das Zeug, das dein Herz schneller schlagen lässt, wenn du der Person begegnest. Also, zusammengefasst: Liebe ist ein biochemisches Feuerwerk.“
Max lehnt sich zurück. „Okay, Hormone machen Sinn. Aber warum verliebt man sich in genau eine bestimmte Person?“
Lena schenkt sich Wasser nach. „Das ist der spannende Teil. Da spielen zum Beispiel unsere Bindungsmuster eine Rolle – also, wie wir als Kinder gelernt haben, Nähe zu anderen aufzubauen. Manche Menschen fühlen sich in Beziehungen sofort sicher, andere haben Angst, verletzt zu werden, wieder andere halten lieber erst mal Abstand.“
Max greift nach einer Flasche Wein, aber Lena gibt ihm einen Klaps auf die Hand. „Heißt das, wie ich liebe, hat mit meiner Kindheit zu tun?“
„Zum Teil, ja. Und dann gibt’s noch frühere Erfahrungen – also, wenn du schon mal verliebt warst, prägt das deine Erwartungen an die nächste Beziehung. Und natürlich auch so was wie gemeinsame Interessen, Humor, Werte …“
Max atmet tief durch. „Also ist Liebe nicht einfach nur Magie?“
Lena schüttelt den Kopf. „Nein. Sie ist Biologie, Psychologie, Philosophie – von allem ein bisschen. Chaos.“
Max schnaubt. „Na super. Und was hilft mir das jetzt?“
Lena lächelt. „Vielleicht dabei, dich selbst besser zu verstehen. Und vielleicht auch dabei, nicht immer nach einer perfekten anderen Hälfte zu suchen, sondern erst mal zu fragen: Wer bin ich eigentlich – und was bedeutet Liebe für mich?“
Max nickt langsam. Dann hebt er sein Glas, in das Lena inzwischen Wasser gefüllt hat. „Auf die Liebe – egal, was sie ist.“
Lena stößt an. „Auf das große Rätsel.“

Philosophische Perspektiven auf die Liebe
Liebe – das wohl größte Rätsel unseres Lebens. Sie kann uns zum Himmel tragen oder in den Abgrund reißen, uns zum besten oder schlimmsten Menschen machen. Und egal, wie viel wir über Hormone, Psychologie oder Mythen wissen – irgendetwas an ihr bleibt immer unfassbar. Vielleicht, weil Liebe nicht nur ein Gefühl ist, sondern eine Haltung, eine Entscheidung, eine Art, die Welt zu sehen.
Philosophen haben sich seit Jahrhunderten den Kopf darüber zerbrochen: Was ist Liebe wirklich? Ein Geschenk? Eine Illusion? Eine Kunst? Oder gar eine Falle?
In diesem Kapitel schauen wir uns verschiedene philosophische Perspektiven auf die Liebe an. Wir starten mit einem der spannendsten und herausforderndsten Gedanken: Bedeutet Liebe Freiheit – oder Besitz?
Jean-Paul Sartre: Freiheit vs. Besitz
Stell dir vor, du bist frisch verliebt. Alles an dieser Person fasziniert dich – ihre Art zu lachen, wie sie spricht, selbst die kleinen Dinge, die andere vielleicht gar nicht bemerken. Du willst so viel Zeit wie möglich mit ihr verbringen. Und dann passiert etwas Seltsames: Je wichtiger sie dir wird, desto mehr wächst die Angst, sie zu verlieren. Vielleicht stört dich plötzlich, dass sie mit anderen abends ausgeht. Oder du fragst dich, ob sie dich genauso sehr mag wie du sie. Ein Teil von dir wünscht sich, dass sie nur für dich da ist – doch gleichzeitig weißt du: Wenn du sie wirklich liebst, musst du ihr Freiheit lassen.
Genau hier setzt der französische Philosoph Jean-Paul Sartre (*1905) an. Für ihn ist Liebe ein ständiger Balanceakt zwischen zwei gegensätzlichen Kräften:
- Unser Wunsch nach Selbstbestimmung – Wir wollen frei sein, unser Leben so leben, wie wir es für richtig halten.
- Unser Bedürfnis nach Bestätigung – Wir sehnen uns danach, dass jemand uns liebt, uns sieht, uns wichtig findet.
Das Problem? Wenn wir lieben, wollen wir oft beides gleichzeitig.
Das Paradox des Besitzens
Laut Sartre steckt in jeder Liebe ein Widerspruch: Wir wollen den anderen nicht nur lieben, sondern auch sicher sein, dass er uns gehört – und dass wir die wichtigste Person für ihn sind. Doch sobald wir versuchen, jemanden zu „besitzen“, zerstören wir genau das, was wir lieben: seine Freiheit.
Ein Beispiel: Angenommen, du bist mit jemandem zusammen und verlangst, dass er sich verändert – weniger mit anderen unternimmt, sich mehr nach dir richtet, sich ganz auf dich konzentriert. Vielleicht tut er das sogar. Doch plötzlich fühlt sich seine Liebe nicht mehr wie eine freie Entscheidung an, sondern wie eine Verpflichtung. Und das ist genau der Punkt, an dem Sartre sagt: Wahre Liebe kann nur in Freiheit existieren.
Doch das ist leichter gesagt als getan. Denn was passiert, wenn unser Partner seine Freiheit nutzt, um sich von uns zu entfernen? Oder wenn wir selbst den Drang spüren, weiterzuziehen?
Liebe als Kampf
Sartre beschreibt die Liebe als einen Kampf – nicht im negativen Sinne, sondern als etwas, das immer wieder neu ausgehandelt werden muss. Wahre Liebe bedeutet, den anderen nicht zu kontrollieren, sondern ihn so zu lassen, wie er ist. Und das ist schwer, weil wir dann darauf vertrauen müssen, dass er von sich aus bleibt.
Das macht Liebe zu einem der größten Abenteuer des Lebens: Sie verlangt Mut. Mut, den anderen nicht festzuhalten. Mut, sich selbst nicht zu verlieren. Und Mut, zu akzeptieren, dass nichts in Stein gemeißelt ist – nicht mal die Liebe.
Max würde an dieser Stelle gewiss die Augenbrauen hochziehen und sagen: „Also, wenn ich das richtig verstehe – verlieben ist wie Skateboard fahren. Richtig gut wird es erst, wenn du das Gleichgewicht hältst und dich traust, loszulassen.“
Und Lena? Die würde vermutlich schmunzeln und nicken: „Ziemlich gute Metapher, Max. Bloß dass du dir bei einem Sturz im besten Fall nur die Knie aufschlägst – und nicht dein Herz.“

Erich Fromm: Liebe als Kunst und Fähigkeit
Liebe ist wie ein Naturwunder – so scheint es zumindest, wenn wir die ersten Schmetterlinge im Bauch spüren. Alles fühlt sich beinahe magisch an, als hätte uns das Universum genau mit der richtigen Person zusammengeführt. Aber was passiert dann? Warum verblasst dieses Gefühl oft? Warum scheitern so viele Beziehungen, obwohl beide sich geliebt haben?
Hier kommt Erich Fromm (*1900) ins Spiel. Ein Psychologe und Philosoph, der sich nicht mit der romantischen Vorstellung zufriedengibt, dass Liebe einfach geschieht. Für ihn ist Liebe kein Zufall – sondern eine Kunst, die man lernen muss.
Liebe ist kein Gefühl, das einfach passiert
Fromm stellt eine provozierende These auf: Die meisten Menschen denken, dass sie lieben können – aber eigentlich wissen sie nicht, wie es geht.
Denn viele verwechseln Liebe mit Verliebtsein. Dieses kribbelnde Hochgefühl, wenn wir jemanden neu kennenlernen, ist wunderbar – aber es ist noch keine Liebe. Es ist eher eine Art Rausch, ein chemisches Feuerwerk im Gehirn. Doch was passiert, wenn die erste Euphorie nachlässt? Wenn der Alltag kommt, wenn wir die Macken des anderen entdecken? Genau dann zeigt sich, ob wir wirklich lieben können – oder ob wir nur das Gefühl des Verliebtseins geliebt haben.
Liebe als aktives Tun
Für Fromm ist Liebe nicht einfach nur ein Zustand, in den man gerät, sondern eine Fähigkeit, die man üben muss – genau wie Musik, Malerei oder Skateboarden.
Er beschreibt vier zentrale Elemente, die echte Liebe ausmachen:
- Achtsamkeit: Den anderen wirklich sehen, ihm zuhören, ihn verstehen – nicht nur unsere Vorstellung von ihm.
- Verantwortung: Sich kümmern, da sein, auch wenn es mal anstrengend wird.
- Respekt: Den anderen als eigenständige Person akzeptieren, ihn nicht verändern oder besitzen wollen.
- Wissen: Den Menschen, den wir lieben, wirklich kennenlernen – nicht nur seine Vorlieben, sondern seine Ängste, Träume, seine Art zu denken.
Klingt logisch, oder? Aber genau hier scheitern viele. Sie glauben, Liebe sei ein Gefühl, das einfach bleibt, wenn man die „richtige“ Person gefunden hat. Doch Fromm sagt: Liebe ist eine bewusste Entscheidung. Sie bleibt nur, wenn wir aktiv etwas für sie tun.
Warum viele Menschen an der Liebe scheitern
Laut Fromm passiert das Scheitern der Liebe oft aus einem Grund: Wir sind auf der Suche nach dem perfekten Partner – anstatt selbst zu lernen, wie man liebt.
Viele erwarten, dass die „richtige“ Person all ihre Sehnsüchte erfüllt, sie glücklich macht, sie komplettiert. Doch das ist eine Illusion. Niemand kann uns vollständig ausfüllen – das können wir nur selbst.
Max würde an dieser Stelle vielleicht fragen: „Also muss ich erst selber cool sein, bevor ich erwarten kann, dass mich jemand mag?“
Lena würde lachen. „In gewisser Weise, ja. Aber ‘cool sein‘ bedeutet hier nicht, besonders lässig oder perfekt zu sein. Sondern sich selbst zu kennen und bereit zu sein, auch für den anderen etwas zu tun.“
Fromm fordert uns auf, Liebe nicht als etwas zu betrachten, das uns einfach passiert, sondern als etwas, für das wir Verantwortung übernehmen. Und das ist gar nicht so leicht. Denn es bedeutet, immer wieder zu reflektieren: Wie liebe ich eigentlich? Bin ich achtsam? Respektiere ich wirklich? Oder will ich nur nehmen, ohne zu geben?
Liebe ist also weniger wie ein Lottogewinn – sondern mehr wie ein Instrument, das man üben muss. Am Anfang klingt es vielleicht schief, es braucht Geduld und Ausdauer. Aber je mehr wir lernen, desto schöner wird die Musik. Und irgendwann, wenn wir wirklich zuhören und unser Bestes geben, kann sie zu einer der schönsten Melodien des Lebens werden.

Martin Buber: Liebe als Begegnung
Manchmal begegnet uns jemand, und für einen Moment scheint die Welt stillzustehen. Ein Blick, ein Lächeln – und plötzlich ist da eine Verbindung, die sich anders anfühlt als andere. Echt. Unverfälscht. Nah.
Aber was genau passiert da eigentlich? Und was macht eine Begegnung wirklich bedeutungsvoll?
Hier wird Martin Buber (*1878) interessant, ein Philosoph, der Liebe nicht als Besitz, nicht als Gefühl, sondern als Begegnung versteht. In meinem Artikel über Identität habe ich ihn euch schon vorgestellt. Sein berühmtes Konzept von „Ich und Du“ hilft uns, die Qualität unserer Beziehungen genauer unter die Lupe zu nehmen – und vielleicht auch, unser eigenes Verhalten in der Liebe zu hinterfragen.
Das „Ich und Du“-Modell: Liebe als echte Begegnung
Buber unterscheidet zwei Arten, wie wir mit anderen Menschen in Beziehung treten:
- Ich-Es-Beziehungen: Hier betrachten wir den anderen als Objekt – als Mittel zum Zweck, als jemanden, der uns etwas geben oder erfüllen soll.
- Ich-Du-Beziehungen: Hier begegnen wir dem anderen wirklich – nicht als Funktion, sondern als einzigartiges, lebendiges Gegenüber.
Und genau hier liegt der Schlüssel zur Liebe.
Denn Liebe, so Buber, entsteht nicht dadurch, dass wir den anderen „haben“ oder „bekommen“. Sie entsteht in dem Moment, in dem wir ihm wirklich begegnen – ohne Erwartung, ohne Besitzanspruch, ohne ihn in eine Rolle zu pressen.
Es geht darum, jemanden nicht nur als Ziel zu sehen, sondern als Mensch.
„Ich-Du“ vs. „Ich-Es“ – Ein Unterschied, der alles verändert
Lena legt Max eine Hand auf die Schulter. „Lass mich raten – du überlegst gerade, ob du sie nur als ‘Ziel‘ siehst?“
Max legt seinen Kopf schief. „Na ja … wenn man es so formuliert, klingt’s mies. Aber … vielleicht ein bisschen?“
„Das ist normal“, sagt Lena. „Wir alle haben Hoffnungen. Aber der Unterschied ist: Willst du sie nur, weil sie dir ein gutes Gefühl gibt? Oder interessierst du dich wirklich für sie? Für sie als Person – mit all ihren Gedanken und Eigenheiten?“
Max schweigt. Er hatte sich gefragt, ob sie ihn mag. Aber er hatte sich nicht gefragt, wer sie wirklich ist.
„In einer Ich-Es-Beziehung“, erklärt Lena weiter, „siehst du den anderen eher als jemand, der eine Rolle in deiner Geschichte spielt. In einer Ich-Du-Beziehung siehst du den anderen einfach, ohne Zweck, weil er oder sie existiert.“
Max grinst. „Klingt, als wäre ‘Ich-Du‘ die Premium-Version der Liebe.“
„Glaub ich auch“, sagt Lena. „Aber sie ist nicht so leicht zu bekommen. Sie passiert nur in Momenten, in denen wir unser Ego loslassen.“
Was bedeutet das für die Liebe?
Bubers Philosophie bedeutet nicht, dass wir keine Wünsche oder Sehnsüchte haben dürfen. Aber sie lädt uns ein, darüber nachzudenken, wie wir lieben:
- Geht es uns um den anderen – oder um uns selbst?
- Wollen wir eine echte Begegnung – oder einfach nur jemanden, der uns glücklich macht?
- Sind wir bereit, den anderen wirklich zu sehen – oder projizieren wir nur unsere Vorstellung auf ihn?
Vielleicht ist das die wahre Kunst der Liebe: den anderen nicht als Teil unserer Geschichte zu betrachten, sondern ihn in seiner eigenen Geschichte zu entdecken.

Arthur Schopenhauer: Liebe als Wille zur Fortpflanzung
Manchmal fühlt sich Verliebtsein an wie ein Zauber. Die Welt wird bunter, Musik klingt besser, und selbst Matheunterricht ist plötzlich irgendwie erträglich – weil da dieser eine Mensch ist. Dieser besondere Mensch, der unser Herz schneller schlagen lässt.
Aber was, wenn das alles nur eine Illusion ist?
Was, wenn wir uns gar nicht aus freien Stücken verlieben, sondern weil die Natur uns austrickst?
Genau das behauptet Arthur Schopenhauer (*1788). Für ihn ist Liebe nicht das große romantische Mysterium, sondern schlicht ein biologischer Kniff. Unser Verstand denkt, wir wählen den Menschen, in den wir uns verlieben – doch in Wirklichkeit sind wir nur Marionetten der Natur.
Liebe als Illusion – und warum sie evolutionär Sinn ergibt
Schopenhauer war nicht gerade der Typ, der Liebesbriefe geschrieben oder an Seelenverwandtschaft geglaubt hätte. Für ihn war Liebe keine poetische Offenbarung, sondern ein simpler Trieb zur Fortpflanzung.
Seine These:
Liebe ist nichts weiter als eine List der Natur, um uns zur Fortpflanzung zu bringen.
Wir glauben, wir verlieben uns aus persönlicher Entscheidung. Doch in Wirklichkeit suchen wir (unbewusst!) nach einem Partner, der möglichst gesunde und genetisch vielversprechende Nachkommen garantieren würde. Hast du schon mal darüber nachgedacht, warum uns oft gerade das anzieht, was wir selbst nicht haben? – Vielleicht, weil unser Unterbewusstsein berechnet: „Mit dieser Person könnte ich Nachkommen zeugen, die eine möglichst perfekte Mischung unserer Stärken und Schwächen sind.“ Ohne es zu merken, suchen wir nach genetischem Ausgleich, damit unsere Nachkommen optimal ausgestattet sind.
Lena seufzt. „Also, wenn Schopenhauer recht hat, ist Liebe nichts anderes als eine clevere Marketingstrategie unserer Gene.“
Max zieht die Stirn in Falten. „Dann verliebe ich mich also nicht in sie, weil ich sie toll finde, sondern weil mein Unterbewusstsein denkt, dass unsere hypothetischen Kinder gut geraten würden?“
„Ziemlich genau das“, nickt Lena. „Schopenhauer würde sagen: Dein Gefühl von ‚Das ist die Richtige!‘ ist nicht dein Herz – sondern dein biologisches Erbgut, das sich die Hände reibt.“
Romantisch oder ernüchternd?
Max verschränkt die Arme. „Na super. Und ich dachte, es geht hier um Gefühle.“
„Naja“, sagt Lena, „es ist beides. Natürlich gibt es echte Nähe, Verbundenheit, Vertrauen – aber Schopenhauer würde sagen, dass diese Dinge erst nachträglich kommen. Am Anfang ist es bloß ein unsichtbarer Mechanismus, der dich dazu bringt, dich genau in die Person zu verlieben, die deine Nachkommen optimieren würde.“
Ob Schopenhauers Sicht der Liebe deprimierend ist oder nicht – das muss jeder selbst entscheiden. Vielleicht nimmt sie ein bisschen von der Magie. Aber vielleicht macht sie auch klar, dass Liebe mehr ist als nur ein schönes Gefühl.
Denn wenn wir wissen, dass uns unsere Biologie manchmal austrickst, können wir Liebe bewusster erleben – und erkennen, dass wahre Nähe nicht nur aus Instinkten besteht, sondern aus dem, was wir daraus machen.

Liebe als Macht und Überwindung
Max stochert in seinem Tortenstück herum. „Weißt du, Lena … ich versteh’s immer noch nicht ganz. Liebe soll also entweder ein Trick der Natur sein oder eine große Begegnung oder eine Kunst oder ein ewiges Paradox. Und jetzt soll sie auch noch was mit Macht zu tun haben? Wo bleibt denn da das Bauchkribbeln?“
Lena schmunzelt. „Tja, das mit dem Bauchkribbeln ist halt nur der Anfang. Die Frage ist: Was passiert danach? Bleibt Liebe nur ein Gefühl – oder wird sie zu etwas Tieferem?“
„Und was haben Nietzsche und Spinoza damit zu tun?“
„Zwei sehr unterschiedliche Sichtweisen. Nietzsche sagt: Liebe ist Wille zur Macht. Spinoza sagt: Liebe ist das Streben nach Glück. Klingt erstmal gegensätzlich, aber eigentlich sind sie sich gar nicht so uneinig.“
Friedrich Nietzsche: Liebe als Wille zur Macht
Max schaut von seinem Teller auf. „Okay, Nietzsche war der Typ mit dem Übermenschen. Was hat der denn über Liebe gesagt? Der war wahrscheinlich nie auf einem Date, oder?“
Lena grinst. „Na ja, Liebe hat ihn trotzdem beschäftigt. Für Nietzsche steckt in jeder Liebe ein Stück Macht. Wenn du jemanden liebst, willst du ihn irgendwie beeinflussen. Du willst, dass er dich sieht, dass du ihm wichtig bist, vielleicht sogar, dass er sich wegen dir verändert.“
Max wirft Lena einen skeptischen Blick zu. „Klingt weniger nach Liebe, mehr nach Strategie.“
„Ja, ein bisschen schon“, sagt Lena ruhig. „Aber denk mal drüber nach. Wenn du jemanden liebst, willst du doch auch, dass er dich liebt – oder? Du willst, dass du in seinem Leben etwas zählst. Das ist auch ein Bedürfnis nach Wirkung.“
Max kratzt sich am Kinn. „Also … Liebe als Machtspiel?“
„Nicht im Sinne von Kontrolle“, sagt Lena, „sondern als gegenseitige Beeinflussung. Nietzsche meinte: In der Liebe kämpfen zwei Willen darum, sich zu behaupten – und dabei entsteht etwas Neues. Zwei Menschen, die sich aneinander reiben, verändern sich gegenseitig.“
Max runzelt die Stirn. „Also so was wie: Wenn Emma dabei ist, benehm ich mich cooler, als ich eigentlich bin?“
„Ganz genau“, sagt Lena, schmunzelt und sticht in ihr Stück Kuchen. „Das ist kein Zufall. Nietzsche würde sagen: In dir tobt in dem Moment der Wille zur Macht. Du willst nicht nur lieben, sondern auch wirken. Du willst, dass sie dich so sieht, wie du dich selbst gern sehen würdest – lässig, witzig, interessant. Liebe ist für Nietzsche also kein reines Geben, sondern auch ein Werden.“
Max legt den Kopf schief. „Klingt ein bisschen eitel.“
„Ist es auch“, sagt Lena. „Aber auf eine kreative Weise. Nietzsche sieht darin das, was uns lebendig macht. Wir versuchen, den anderen zu beeindrucken, und dabei erschaffen wir uns selbst neu. Liebe ist ein Experiment, in dem du herausfindest, wer du sein könntest.“
Max lehnt sich zurück. „Also wenn ich Emma mag, lerne ich eigentlich auch mich selbst besser kennen?“
„Genau. Du bist nicht mehr nur du allein – du wirst ein Du-in-Beziehung. Nietzsche hätte gesagt: In der Liebe begegnen sich zwei Kräfte, die sich gegenseitig herausfordern. Keine kitschige Verschmelzung, sondern ein Tanz zwischen Nähe und Selbstbehauptung.“
Max nickt langsam. „Heißt also, Liebe ist wie zwei Planeten mit eigener Umlaufbahn. Man will sich anziehen, aber nicht ineinander krachen.“
Lena lacht. „Wunderschön gesagt. Ja. Wer liebt, will wachsen – und manchmal tut das eben weh.“
Max schiebt seinen Teller weg und grinst. „Na dann: Hoffen wir mal, dass mein Wille zur Macht nicht gleich baden geht.“
Lena hebt ihr Glas. „Oder dass er schwimmen lernt.“
Vielleicht ist das das Schönste (und Schmerzhafteste) an der Liebe:
Sie ist nie nur Gefühl – sie ist immer auch eine Herausforderung.
Nietzsche zeigt uns, dass Liebe kein ruhiges Nest ist, sondern eine Bühne, auf der wir unser eigenes Werden ausprobieren.
Doch was passiert, wenn wir aufhören, andere als Spiegel zu benutzen – und anfangen, sie einfach zu lieben, weil wir selbst in uns ruhen?
Da kommt Spinoza ins Spiel.
Baruch de Spinoza: Liebe als Streben nach Glück
Max hält seine Hand über die Tischkerze und bewegt sie langsam, sodass die Flamme kurz erstickt und fast ausgeht. Dann zieht er seine Hand gedankenversunken zurück, und die Flamme züngelt sofort wieder auf.
„Okay“, sagt er. „Nach Nietzsche klingt Spinoza bestimmt wie ein Wellnessurlaub. Das war der Typ mit der inneren Ruhe, oder?“Lena lacht leise. „Ein bisschen schon. Aber Spinoza war keiner, der Räucherstäbchen angezündet und Mantras gemurmelt hat. Er war Mathematiker und Philosoph. Für ihn war Liebe nichts Mystisches, sondern etwas, das man verstehen kann. Fast wie ein Naturgesetz.“
Max lehnt sich zurück. „Liebe als Physik der Gefühle?“
„So ähnlich. Spinoza meinte: Alles in der Welt folgt seiner eigenen Logik, seinem eigenen ‚Streben‘. Jedes Wesen versucht, zu bleiben, was es ist, und das eigene Leben zu entfalten. Auch wir. Wenn wir lieben, dann, weil etwas in uns nach mehr Freude strebt.“
„Freude statt Drama“, murmelt Max. „Klingt sympathisch.“
„Spinoza würde sagen: Echte Liebe ist das Gegenteil von Besitzdenken. Sie entsteht, wenn du jemanden liebst, weil du dich selbst und das Leben klarer siehst – nicht, weil du etwas von ihm brauchst.“
Max hebt eine Augenbraue. „Also keine ‚Du machst mich komplett‘-Nummer?“
„Genau. Das ist für Spinoza Abhängigkeit. Liebe, die aus Mangel kommt, macht dich unfrei. Wahre Liebe entsteht, wenn du dich selbst verstehst. Wenn du weißt, was dich glücklich macht, unabhängig vom anderen.“
Max denkt nach. „Also muss man erst mit sich selbst klarkommen, bevor man jemand anderen lieben kann?“
Lena überlegt kurz. „Nicht unbedingt fertig mit sich selbst sein – das wird keiner. Aber du solltest dich genug kennen, um zu wissen, warum du jemanden willst. Wenn du jemanden nur brauchst, um dich ganz zu fühlen, dann nutzt du den anderen als Pflaster. Spinoza würde sagen: Das ist keine Liebe, das ist Schmerzvermeidung.“
Max kratzt sich am Kopf. „Und wenn man beides hat? Freude und Angst?“
„Dann bist du menschlich“, sagt Lena und zuckt mit den Schultern. „Spinoza war kein Romantiker, aber auch kein Zyniker. Er glaubte, dass wir durch Erkenntnis frei werden – und dass die höchste Erkenntnis die Liebe ist. Nicht zu einer bestimmten Person, sondern zum Leben selbst. Er nannte das amor Dei intellectualis – die geistige Liebe zu allem, was ist.“
Max schnaubt. „Also so was wie: Wenn ich das Leben liebe, muss ich keine Angst mehr haben, dass Emma mich nicht liebt?“
„Genau das“, sagt Lena. „Wenn du das Leben liebst, verlierst du dich nicht, wenn jemand geht – und freust dich umso mehr, wenn jemand bleibt.“
Max nickt langsam. „Ziemlich cool, der Spinoza. Vielleicht war das mit der inneren Ruhe ja doch nicht so esoterisch.“
„Nee“, sagt Lena lächelnd. „Eher radikal vernünftig. Er meinte: Freiheit heißt nicht, dass du alles bekommst, was du willst – sondern dass du verstehst, warum du etwas willst.“
Manchmal verwechseln wir Liebe mit dem Wunsch, nicht allein zu sein.
Spinoza erinnert uns daran, dass Liebe kein Tauschgeschäft ist. Sie wächst, wenn wir uns selbst verstehen, und sie vergeht, wenn wir versuchen, den anderen zu besitzen.
Vielleicht ist das die reifste Form der Liebe:
Nicht jemandem zu gehören, sondern gemeinsam frei zu sein.
Macht oder Glück? Oder beides?
Max fährt sich durch die Haare. „Also ist Liebe entweder ein Machtspiel oder eine Reise zur Selbsterkenntnis?“
„Vielleicht ist sie beides“, sagt Lena. „Liebe bedeutet, dass wir den anderen beeinflussen – aber auch, dass wir uns selbst verstehen müssen. Wer den anderen nur besitzen will, wird ihn verlieren. Wer sich selbst nicht kennt, sucht in der Liebe nur einen Lückenfüller.“
Max nickt. „Ganz schön deep. Ich glaub, ich muss das erstmal verdauen.“
„Mach das“, sagt Lena. „Liebe ist schließlich nichts für schwache Nerven.“

Liebe und Vernunft: Soll man seinem Gefühl folgen oder nicht?
Max starrt in sein halb volles Glas Cola, rührt mit dem Strohhalm darin herum und seufzt.
„Lena … wär’s nicht eigentlich schlauer, Gefühle einfach zu ignorieren? Ich meine, wenn sie sowieso irgendwann wieder verschwinden – warum sich dann darauf einlassen?“
Lenas Blick schweift über die tanzenden Hochzeitsgäste. „Das ist eine gute Frage, Max. Und eine ziemlich alte. Philosophen haben sich das schon gefragt, lange bevor jemand auf die Idee kam, romantische Komödien zu drehen.“
Max schnaubt. „Klar, weil Philosophen ja auch die großen Experten für Beziehungen sind.“
Lena verschränkt die Arme. „Naja, sagen wir’s so: Sie haben zumindest versucht, die Sache zu durchdenken. Du stehst also vor einem klassischen Dilemma: Herz oder Kopf? Gefühl oder Vernunft?“
Max nimmt einen Schluck Cola. „Ja. Ich meine, Gefühle machen Menschen doch total unvernünftig. Die treffen dumme Entscheidungen, schreiben kitschige Liebeslieder, lassen sich tätowieren, machen sich total zum Affen …“
„Oder heiraten“, sagt Lena mit einem schiefen Lächeln und deutet mit dem Kopf auf die Tanzfläche zu Clara.
Max lacht. „Okay, aber trotzdem: Ist es nicht klüger, sich von so was gar nicht erst beeinflussen zu lassen? Einfach cool bleiben, abwarten, bis es vorbei ist, und dann keinen Schaden nehmen?“
Lena schaut ihn an. „Du meinst also: Verliebtsein ist wie eine Erkältung – man muss es einfach aussitzen?“
„Genau! Ich meine, am Ende ist es doch eh nur Biochemie. Hormone, Evolution, bla bla bla. Und wenn ich mich nicht darauf einlasse, verletzt mich auch niemand.“
Lena atmet tief ein. „Tja, Max. Das Problem ist: Auch Nichtstun ist eine Entscheidung. Und die kann genauso wehtun wie das Risiko, sich einzulassen.“
Vernunft vs. Emotion: Kant und die Ethik der Gefühle
Max streckt sich. „Klingt, als würdest du gleich mit einem Philosophen um die Ecke kommen.“
Lenas stupst Max mit ihrem Ellbogen. „Du kennst mich zu gut. Also, Immanuel Kant – der Typ mit den strengen Prinzipien – war der Meinung, dass wir uns nicht einfach von Gefühlen leiten lassen sollten. Er meinte, dass echte moralische Entscheidungen nicht aus Emotionen entstehen, sondern aus Vernunft. Gefühle kommen und gehen – aber ein Mensch, der nur seinen Emotionen folgt, ist wie ein Boot ohne Ruder.“
Max kratzt sich am Kopf. „Also hätte Kant gesagt: Ignorier das mit der Verliebtheit, bleib rational, denk langfristig?“
„So ungefähr. Für ihn war klar: Wenn du wirklich ein guter Mensch sein willst, dann kannst du dich nicht einfach treiben lassen – du musst bewusst und mit Vernunft handeln. Gefühle sind unzuverlässig, sie ändern sich ständig. Vernunft bleibt.“
Max starrt an die Saaldecke. „Okay … aber wenn wir uns auf unsere Gefühle nicht verlassen sollen, warum haben wir sie dann überhaupt? Ich meine, wenn die Vernunft alles viel besser regelt, warum hat uns die Natur dann mit so einem Chaos ausgestattet?“
Lena lächelt. „Vielleicht, weil Gefühle uns etwas sagen, das die Vernunft allein nicht erfassen kann. Weil sie uns verbinden, weil sie uns antreiben. Kant hatte recht damit, dass wir nicht blind nach ihnen handeln sollten. Aber er hat vielleicht unterschätzt, dass Vernunft ohne Gefühl nur kühle Logik ist – und das Leben eben nicht nur aus logischen Entscheidungen besteht.“
Max verschränkt die Arme. „Ich wette, Kant war nie verliebt. Sonst hätte er gemerkt, dass Vernunft beim Herz ungefähr so viel zu sagen hat wie ein Hausmeister auf einem Rockkonzert.“

Fazit
Liebe – kaum ein Wort wird so oft besungen, verflucht oder gefeiert. Und doch bleibt sie ein Rätsel. Ist sie ein Gefühl, das uns überkommt wie eine Welle? Oder eine Kunst, die wir mühsam erlernen müssen? Ist sie eine Illusion der Natur oder eine Begegnung, in der wir uns wirklich gesehen fühlen? Ein Paradox, das uns zermürbt, oder eine Kraft, die uns wachsen lässt?
Max hat viel gehört. Platon sagt, wir suchen unsere andere Hälfte – aber heißt das, dass Liebe nur dazu da ist, uns zu „vervollständigen“? Sartre warnt davor, Liebe mit Besitz zu verwechseln – doch wie hält man die Balance zwischen Nähe und Freiheit? Fromm meint, man muss sich anstrengen, wenn man lieben will – aber bedeutet das, dass Liebe Arbeit ist und nicht einfach geschehen kann? Nietzsche behauptet, unsere Liebe ist ein Machtanspruch – doch kann man lieben, ohne zu beeinflussen? Schopenhauer hält das Ganze für eine Falle der Evolution – aber warum fühlt es sich dann manchmal so echt an?
… Und was heißt das alles für uns?
Vielleicht, dass es nicht nur darum geht, was Liebe ist, sondern was sie mit uns macht. Dass sie nicht nur eine philosophische Frage ist, sondern eine Herausforderung im wirklichen Leben: Trauen wir uns, zu lieben, ohne den anderen zu besitzen? Können wir es aushalten, dass Liebe nie eine Garantie ist? Sind wir bereit, Liebe nicht nur als Gefühl, sondern als Fähigkeit zu sehen?
Max muss diese Fragen für sich selbst beantworten. Vielleicht geht er das Risiko ein, vielleicht nicht. Vielleicht erkennt er erst später, was Liebe für ihn bedeutet. Und vielleicht gibt es darauf auch gar keine abschließende Antwort – sondern nur ein immer neues Suchen, Scheitern, Lernen, Wachsen.

Hier für euch eine kleine Auswahl an bedeutenden philosophischen Werken zum Thema Liebe, die euch eine gute Vertiefung ermöglichen:
1. Platon – Das Gastmahl (Symposion) (4. Jh. v. Chr.)
In diesem Dialog sprechen verschiedene Gäste bei einem Trinkgelage über die Natur und das Wesen der Liebe. Der berühmte Mythos der „geteilten Menschen“ stammt von hier. Platon zeigt, wie Liebe als Suche nach Vollkommenheit und nach dem, was einem fehlt, verstanden werden kann.
2. Jean-Paul Sartre – Das Sein und das Nichts (1943)
Zwar ist dieses Werk in erster Linie ein fundamentales Buch zur Existenzphilosophie, doch Sartre widmet sich darin auch ausführlich der Liebe. Er sieht sie als ständigen Konflikt zwischen dem Wunsch, den anderen zu besitzen, und dem Bedürfnis, seine Freiheit zu respektieren.
3. Erich Fromm – Die Kunst des Liebens (1956)
Fromm behauptet, dass Liebe kein bloßes Gefühl ist, das „einfach so“ passiert, sondern eine Fähigkeit, die wir lernen können. Er beschreibt vier Grundelemente (Fürsorge, Verantwortungsgefühl, Respekt und Wissen) und zeigt, wie wir echte, tiefe Liebe entwickeln können – jenseits von bloßem Verliebtsein.
4. Simone de Beauvoir – Das andere Geschlecht (1949)
In diesem Werk analysiert de Beauvoir vorrangig die gesellschaftliche Rolle der Frau, doch sie behandelt auch das Thema Liebe. Sie zeigt, wie traditionelle Rollenbilder echte Begegnung verhindern, und betont, dass Liebe nur dann frei ist, wenn beide Partner als gleichwertig anerkannt werden.
5. Friedrich Nietzsche – Die fröhliche Wissenschaft (1882)
Eigentlich bekannt durch das „Gott ist tot“-Zitat, enthält dieses Buch auch einige Aphorismen über Liebe und Beziehungen. Nietzsche sieht Liebe oft als Ausdruck eines Willens zur Macht – wer liebt, will beeinflussen und sich selbst verwirklichen. Seine Gedanken sind teils provokant, regen aber zum Nachdenken an, finde ich.
6. Arthur Schopenhauer – Die Welt als Wille und Vorstellung (1819)
Schopenhauer geht davon aus, dass das Leben vom „Willen“ gesteuert wird, zu dem auch der sexuelle Trieb gehört. Liebe interpretiert er als List der Natur, um die Art zu erhalten. Romantisch ist das nicht, aber es erklärt, warum wir uns – seiner Meinung nach – in bestimmte Menschen verlieben.
7. Martin Buber – Ich und Du (1923)
In diesem kurzen, aber einflussreichen Text unterscheidet Buber zwischen „Ich-Es“- und „Ich-Du“-Beziehungen. Er erklärt, wie echte Liebe nur in der unmittelbaren Begegnung entsteht, wenn wir den anderen nicht als Objekt, sondern als lebendiges Gegenüber wahrnehmen.
Sapere aude! 🙂
Und jetzt seid ihr wieder dran: Die PhiloLounge gibt euch eine Bühne für euer ganz eigenes Gedanken-Stand-up. Hier gibt es keine falschen Antworten, nur euren persönlichen Blick auf die Welt. Lasst euren Gedanken freien Lauf und teilt sie mit uns — Ich bin gespannt, was ihr zu sagen habt!
Meine Fragen an eure Runde:
- Ist Eifersucht ein Zeichen von Liebe?
- Ist Liebe das, was wir fühlen – oder das, was wir tun?
- Wer bist du, wenn du verliebt bist – jemand anderes als sonst?
- Kann man sich bewusst dafür entscheiden, jemanden zu lieben – oder ist Liebe immer ein Gefühl, das uns „passiert“?
- Was bringt mehr Schmerz: Jemanden zu verlieren, den man geliebt hat – oder niemals geliebt zu haben?
- Wenn Liebe irgendwann vergeht – heißt das dann, sie war nie „echt“?
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