- Die Qual der Wahl – oder ist alles vorherbestimmt?
- Das intuitive Gefühl von Willensfreiheit
- Kein Entrinnen: Der harte Determinismus
- Willensfreiheit 2.0: Der weiche Determinismus
- Der Existenzialismus: Total frei – aber um welchen Preis?
- Ob du willst oder nicht – dein Handeln zählt
- Fazit: Also, sind wir jetzt frei oder nicht?
Ein Krankenhauszimmer, die späte Nachmittagssonne fällt durch die Jalousien. Max liegt im Bett, das rechte Bein hochgelagert, ein Verband um sein Knie. Sein Gesicht ist blass, er wirkt müde – nicht nur vom Sturz, sondern auch von den Schmerzmitteln. Seine Haare sind zerzaust, und auf seinem Unterarm zieht sich ein dunkelblauer Bluterguss entlang. Max‘ Handy liegt neben ihm, aber er scrollt nicht, was selten vorkommt. Stattdessen starrt er an die Decke. Lena sitzt auf einem der unbequemen Krankenhausstühle und rührt in einem halb erkalteten Kakao. Draußen ist es noch hell, aber der Raum fühlt sich gedämpft an, wie in Watte gepackt.
Lena, sanft: „Du hast echt Glück gehabt.“
Eine Weile sagt keiner von beiden etwas.
Dann bricht Lena die Stille.
„Also … Warum hast du’s gemacht?“
Max reagiert nicht. Sein Blick ist weiter zur Decke gerichtet. Vielleicht hofft er, dass sie das Thema fallen lässt.
Lena: „Oder lassen wir’s einfach stehen?“
Max brummt nur.
Lena: „Weil, ich könnte natürlich so was sagen wie: Wow, Max, das war echt beeindruckend. Dieser mutige Sprung. Diese elegante Landung!“
Max wirft ihr einen mürrischen Blick zu. „Danke. Wirklich. Sehr aufbauend.“
Lena grinst: „Ich könnte aber auch sagen: Mann, Max, was für eine grandiose Idee, auf einer Rampe zu sterben. Hätte echt episch ausgesehen auf TikTok.“
Max seufzt. „Ja, okay, verstanden.“
Lena lehnt sich zurück. „Aber ich sag nichts davon, weil ich wirklich ’ne coole große Schwester bin.“
Max schließt für einen Moment die Augen. Dann, leise: „Haben viele zugeschaut?“
Lena: „Oh, ja. Und gefilmt. Ich denke, deine Karriere als Unfall-Fluencer könnte steil gehen.“
Max stöhnt. „Super.“
Lena beobachtet ihn. „Also. Wie war’s?“
Max zuckt mit den Schultern. „Was?“
Lena: „Na, dieser … großartige Moment, in dem du entschieden hast, dich freiwillig zu zerschmettern.“
Max schnaubt, aber dann schweigt er einen Moment. Seine Finger knibbeln am Rand der Bettdecke.
Schließlich sagt er: „Es ging halt so schnell. Erst hat Finn es vorgeschlagen. Dann haben alle geguckt. Dann hat Leo sein Handy rausgeholt. Und auf einmal …“ Er verzieht das Gesicht. „… stand ich da oben.“
Lena: „Und du hattest ein krasses Selbstbewusstsein.“
Max lacht humorlos. „Eher ein krasses Oh-shit-Gefühl.“
Lena hebt eine Augenbraue. „Und du bist trotzdem losgefahren.“
Max fährt sich durch die Haare. Dann wirft er Lena einen kurzen Blick zu. „Findest du … ich war dumm?“
Lena zögert. „Du wolltest halt beweisen, dass du’s kannst.“
Max: „Ja, schon. Aber musste ich das?“
Lena bläst die Luft aus. „Tja. Das ist die Frage.“
Max verzieht den Mund. „Ich meine … ich hab’s doch gewollt, oder? Ich hab’s nicht gemusst.“
Lena: „Sicher?“
Max mustert sie. „Was meinst du?“
Lena: „Na ja. Wärst du auch gesprungen, wenn du ganz allein gewesen wärst? Ohne Zuschauer, ohne Handys?“
Max öffnet den Mund – schließt ihn wieder. Plötzlich fühlt sich die Frage schwer an. „Vielleicht nicht.“
Lena zieht eine Augenbraue hoch. „Also war’s doch nicht nur dein Wille.“
„Boah, Lena. Muss das jetzt sein?“ Max rümpft die Nase. „Und was jetzt? Willst du mir sagen, dass ich kein freier Mensch bin?“
Lena hebt abwehrend die Hände. „Hey, keine Ahnung. Aber … du hast das Gefühl gehabt, du triffst die Entscheidung selbst. Und trotzdem wär’s ohne die anderen wahrscheinlich nie passiert.“
Max reibt sich über die Stirn. „Das klingt, als wär ich einfach ’ne Marionette gewesen.“
Lena zuckt die Schultern. „Nicht unbedingt. Aber wenn man drüber nachdenkt, stellt sich halt die Frage …“
Max rutscht ein Stück tiefer ins Kissen. „Weißt du, es ist leicht, hier zu sitzen und kluge Fragen zu stellen. Aber wenn du da stehst, wenn alle zu dir schauen, dann fühlt sich das an, als gäbe es gar keine Entscheidung mehr.“ Er schüttelt leicht seinen Kopf.
Lena schweigt. Dann sagt Max, um das Gespräch umzulenken: „Hattest du schon mal so was? Also so eine Situation, wo du dachtest, du entscheidest, aber irgendwie … nicht wirklich?“
Lena lehnt sich zurück. „Gestern erst.“
Max hebt eine Augenbraue. „Echt?“
Lena nickt. „Hausarbeit. Abgabefrist. Ich hatte eigentlich null Zeit. Und dann ruft Frau Blumenthal an.“
Max: „Die mit dem klapprigen Hund.“
Lena: „Humboldt brauchte dringend jemanden, der sich kümmert. Sie klang verzweifelt.“
Max: „Also bist du los.“
Lena runzelt die Stirn. „Ja. Aber weißt du, was ich dachte, als ich mit ihm draußen war?“
Max überlegt nicht lange. „‚Warum hab ich nicht Nein gesagt?‘“
Lena zeigt mit zwei Fingern auf ihn. „Exakt. Ich war mitten im Schreiben. Ich hatte also ’nen guten Grund. Aber irgendwie … konnte ich nicht Nein sagen.“
Max: „Weil du immer zu nett bist.“
Lena zuckt die Schultern. „Vielleicht. Oder weil ich’s musste? Weil ich mich sonst schlecht gefühlt hätte?“
„Tja. War das deine freie Entscheidung? Oder hast du’s nur gemacht, weil du dich verpflichtet gefühlt hast?“
Lena seufzt.
Max: „Scheint, als warst du auch nicht so frei, wie du dachtest. Super. Dann sind wir also beide fremdgesteuert. Ich von der Gruppe, du von deinem Helfersyndrom.“
Lena lacht. „Willkommen im Club.“
Max blickt sie an. „Aber jetzt mal ehrlich – gibt’s das überhaupt? Echte Willensfreiheit? Das klingt doch verdächtig philosophisch.“
„Gute Frage. Lass uns mal drüber nachdenken.“

Die Qual der Wahl – oder ist alles vorherbestimmt?
Max spürt ein pochendes Ziehen in der Rippe. In seinem Kopf rattert es, seit Lena ihm diese eine Frage gestellt hat: Warum hast du’s gemacht?
Klar, er könnte jetzt sagen: Weil ich Bock hatte. Weil es cool war. Aber je länger er darüber nachdenkt, desto mehr ahnt er, dass es nicht so einfach ist. Die Jungs im Skatepark hatten ihn angefeuert, Handys auf ihn gerichtet, bereit, den großen Moment festzuhalten. Der Sprung war riskant – zu riskant. Aber einfach absteigen und gehen? Vor allen? Unmöglich. Also fuhr er los.
War das seine Entscheidung? Oder wurde sie von all dem beeinflusst, was um ihn herum passiert ist? Hatte er wirklich eine Wahl?
Arthur Schopenhauer (*1788) hätte darauf wahrscheinlich mit einem bitteren Lächeln geantwortet:
„Ein Mensch kann tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.“1
Was soll das heißen?
Stell dir vor, du wachst morgens auf, weil dein Wecker klingelt. Stehst du sofort auf – oder drehst du dich nochmal um?
Die Entscheidung scheint frei. Aber warum willst du das eine mehr als das andere? Vielleicht, weil du gestern zu lange wach warst und dein Körper nach mehr Schlaf verlangt. Vielleicht, weil du zur Schule musst und dein Pflichtgefühl stärker ist als die Müdigkeit. Oder vielleicht, weil du die Stimme deiner Mutter in deinem Kopf hörst: „Raus mit dir, nicht wieder trödeln!“
Schopenhauer meint: Du kannst zwar eine Wahl treffen, aber du kannst nicht frei bestimmen, was du dir in diesem Moment wünschst. Dein Wille ist nicht aus dem Nichts entstanden – er hat eine Ursache. Und wenn alles eine Ursache hat, dann auch jede Entscheidung, die wir treffen.
Also ist unser Wille gar nicht frei? Bedeutet das, dass Max gar nicht anders konnte, als zu springen? Dass Lena automatisch zugesagt hat, als ihre Nachbarin sie um Hilfe bat? Dass alles, was wir tun, längst durch unsere Vergangenheit, unsere Gene, unsere Umwelt vorprogrammiert ist?
— Willkommen zu einem der größten philosophischen Kopfzerbrecher aller Zeiten.
Aber fangen wir von vorne an: Gibt es überhaupt eine Willensfreiheit?

Das intuitive Gefühl von Willensfreiheit
Max starrt an die Krankenhausdecke und denkt nach. Das ist das Komische an dieser ganzen Sache: Irgendwie fühlt es sich so an, als hätte er sich selbst entschieden. Niemand hat ihn auf die Rampe gezwungen, niemand hat ihn mit Gewalt auf sein Board gestellt. Es war seine Wahl, oder?
Und nicht nur diese. Jeden Tag trifft er Entscheidungen. Geh ich nach der Schule direkt nach Hause oder noch kurz zum Kiosk? Antworte ich auf die Nachricht – oder lass ich es? Es fühlt sich an, als würde er selbst das Steuer in der Hand halten.
Lena kennt das Gefühl genauso. Als ihre Nachbarin sie bat, mit Humboldt rauszugehen, hat sie es sich doch selbst überlegt. Sie hat abgewogen, gezögert, sich dann entschieden. Wäre sie unfrei gewesen, hätte sie doch gar nicht lange nachdenken müssen – dann wäre die Antwort einfach aus ihr herausgeplatzt wie bei einer Maschine, die nach festem Programm läuft.
Genau deswegen glauben viele Menschen an den freien Willen: Wir erleben uns selbst als entscheidende Wesen.
Das Ringen mit Entscheidungen als Zeichen der Freiheit?
Wenn du vor einer wichtigen Wahl stehst, merkst du das sofort. Der Moment, wenn dein Finger im Chat über zwei Optionen schwebt: „Sorry, ich kann nicht“ oder „Ja, lass treffen“. Der Moment, wenn du eine Physikaufgabe vor dir hast und denkst: „Versuch ich’s – oder lass ich’s gleich bleiben?“
Du spürst das Gewicht der Entscheidung. Manchmal dauert es ewig, du ringst mit dir selbst. Dieses Ringen fühlt sich nach Freiheit an, weil du aktiv nachdenkst, weil du es theoretisch auch anders machen könntest. Oder etwa nicht?
Wir fühlen uns für unser Handeln verantwortlich.
Was auch immer Max gestern im Skatepark gedacht hat – jetzt liegt er hier, mit Schmerzen. Und was noch schlimmer ist: Seine Eltern sind stocksauer.
„Das war echt dämlich, Max“, hatte sein Vater nur gesagt und mit dem Kopf geschüttelt.
Max könnte sich rausreden, sagen: „Ey, ich hatte keine Wahl, alle wollten, dass ich es mache!“ Aber tief in ihm drin weiß er: Es war seine Entscheidung. Und genau deswegen fühlt er sich jetzt auch verantwortlich.
Verantwortung ist ein starkes Indiz für Willensfreiheit. Du kannst nicht ernsthaft für etwas verantwortlich gemacht werden, wenn du gar keine andere Wahl hattest, oder? Kein Lehrer kann dich für eine vergessene Hausaufgabe tadeln, wenn jemand anderes dein Heft geklaut hat. Keine Freundin kann sauer sein, wenn du ihr wirklich nicht zurückschreiben konntest. Verantwortung setzt Wahlmöglichkeiten voraus.
Aber … was, wenn das Gefühl eine Illusion ist?
Hier kommt der Haken an der Sache: Nur weil sich etwas wahr anfühlt, heißt das nicht, dass es auch wahr ist.
Wenn du träumst, denkst du auch, alles sei real – bis du aufwachst. Wenn du einen Film schaust, fühlst du mit den Figuren mit, als wärst du mitten im Geschehen – obwohl vor dir nur ein Bildschirm ist.
Was, wenn auch das Gefühl von Willensfreiheit nur eine perfekte Illusion ist? Was, wenn dein Gehirn dir nachträglich das Gefühl gibt, eine Wahl gehabt zu haben, obwohl von Anfang an klar war, wie du entscheiden würdest? Das Gefühl, eine freie Wahl zu haben, könnte also eine Art nachträgliche Erklärung unseres Geistes sein, der versucht, Sinn in die Abläufe unseres Handelns zu bringen.
Max zieht die Krankenhausdecke dichter an sein Kinn. Der Gedanke ist fast schon beängstigend.
War es wirklich meine Wahl? Oder war es von Anfang an unausweichlich, dass ich springen würde?
Kein Entrinnen: Der harte Determinismus
Nehmen wir mal an, du kommst von der Schule nach Hause und hast plötzlich eine unbändige Lust auf Schokoladenkekse. Nicht auf Gummibärchen, nicht auf Chips – nein, es müssen Schokoladenkekse sein. Du gehst in die Küche, öffnest den Schrank und holst dir eine Packung. Ganz normale Entscheidung, oder? Du hattest ja die Wahl. Hättest du nicht genauso gut etwas anderes essen können?
Jetzt kommt der harte Determinismus (von lateinisch determinare → „festlegen, begrenzen“) zum Zug – und der sagt: Nein, hättest du nicht.
Alles hat eine Ursache – auch deine Entscheidungen
Der Gedanke klingt erst mal unangenehm: Alles, was wir tun, geschieht nicht einfach aus freiem Willen, sondern weil es durch vorherige Ereignisse bestimmt ist. Dein Hunger auf Kekse? Vielleicht lag es daran, dass du gestern einen Werbespot gesehen hast. Oder daran, dass du als Kind immer Kekse bekommen hast, wenn du traurig warst, und dein Gehirn jetzt glaubt, dass es genau das ist, was du brauchst. Oder es ist schlicht dein Blutzuckerspiegel, der dich dazu bringt.
So sieht es jedenfalls der harte Determinismus: Jedes Ereignis – und damit auch jede Entscheidung – hat eine Ursache. Und wenn alles eine Ursache hat, dann gibt es auch keinen echten Spielraum für „freie“ Entscheidungen.
Baruch de Spinoza: Wir tun, was wir tun, weil uns nichts anderes möglich ist
Der niederländische Philosoph Baruch de Spinoza (*1632) brachte es radikal auf den Punkt: Wir handeln immer genau so, wie wir handeln, weil wir gar nicht anders können.
Das klingt erst mal abwegig, oder? Klar kannst du doch entscheiden, ob du jetzt aufs Handy schaust oder hier weiterliest! Spinoza würde dir aber sagen: Deine Entscheidung, ob du dein Handy in die Hand nimmst oder nicht, ist bereits von unzähligen Faktoren beeinflusst – deiner Stimmung, deiner Konzentration, deinen Gewohnheiten, dem kleinen Nachrichten-Icon, das deine Neugier weckt. Du glaubst nur, dass du frei entscheidest, aber in Wahrheit folgst du einer Kette von Ursachen, die dich zu diesem Moment geführt haben.
Spinoza schreibt:
„Die Menschen halten sich für frei, weil sie sich ihrer Handlungen bewusst sind, aber nicht der Ursachen, durch die sie bestimmt werden.“2
Das bedeutet: Wir spüren zwar, dass wir wählen – aber wir übersehen die vielen Faktoren, die uns in eine bestimmte Richtung drängen.
Wie zeigt sich das im Alltag?
Denken wir an Max‘ Unfall. Er hätte die Idee auch ausschlagen können. Doch war das realistisch?
- Seine Freunde feuerten ihn an.
- Die Kameras waren gezückt.
- Sein eigener Stolz stand auf dem Spiel.
- Die Angst, als Feigling dazustehen, nagte an ihm.
Spinoza würde sagen: Max hat nicht frei entschieden – er hat so gehandelt, weil in diesem Moment nichts anderes für ihn wirklich möglich war. Seine Persönlichkeit, seine Emotionen, seine Umgebung – all das bestimmte, dass er losfahren musste.
Oder schauen wir auf Lena und Humboldt. Hätte Lena ablehnen können? Rein theoretisch ja. Aber tief in ihr gab es so viele Ursachen, die auf ein „Ja“ hinausliefen:
- Ihr Pflichtgefühl.
- Ihre Empathie für die alte Nachbarin und den kränklichen Humboldt.
- Ihre Gewohnheit, immer zu helfen.
Lena hat sich nicht bewusst gezwungen gefühlt – aber war ihr „Ja“ wirklich eine freie Entscheidung?
Spinoza sagt: nein. Ein Mensch kann nicht anders handeln, als es seine Natur und seine Umstände vorgeben.
Das bedeutet:
- Unsere Gedanken, unsere Wünsche, unser Charakter – all das entsteht nicht einfach aus dem Nichts.
- Es gibt immer eine Ursache für das, was wir wollen und tun.
- Und wenn jede Ursache aus einer vorhergehenden Ursache entsteht – wo bleibt dann die Freiheit?
Eine unbequeme Vorstellung.
Aber vielleicht auch eine befreiende? Denn wenn nichts anderes möglich war – können wir uns dann wirklich Vorwürfe machen?
Sam Harris: Dein Gehirn war schneller als du
Noch krasser formuliert es der Philosoph und Neurowissenschaftler Sam Harris (*1967): Dein Gehirn trifft Entscheidungen, bevor du sie überhaupt bewusst wahrnimmst.
In Experimenten hat man Menschen gebeten, sich bewusst für eine Option zu entscheiden – etwa, ob sie mit der linken oder rechten Hand einen Knopf drücken. Aber noch bevor sie dachten: „Okay, ich nehme die rechte Hand“, konnte man im Gehirn schon erkennen, dass genau diese Entscheidung in den Neuronen vorbereitet wurde. Ihr Bewusstsein kam also nur hinterher und glaubte, aktiv die Wahl getroffen zu haben.
Die radikale Konsequenz: Kein Raum für freien Willen
Für Harris ist die Sache klar: Unser Bewusstsein ist nicht der Urheber unserer Entscheidungen, sondern nur ein Zuschauer. Die Prozesse, die dazu führen, dass wir „uns entscheiden“, laufen auf neuronaler Ebene automatisch ab. Unser Gehirn verarbeitet genetische Einflüsse, Erfahrungen, Umweltfaktoren – und daraus ergibt sich unsere Handlung, bevor wir sie bewusst wählen können. Wir haben also nicht „frei“ entschieden, sondern unser Gehirn hat unterbewusst ausgerechnet, was als Nächstes passiert. Und dein Bewusstsein ist der letzte, der davon erfährt.
Falls das stimmt, bedeutet das: Unsere Gedanken und Entscheidungen entstehen nicht aus freiem Willen, sondern aus unbewussten Prozessen, auf die wir keinen Einfluss haben.
Max: Okay, also laut Harris trifft mein Gehirn alle Entscheidungen für mich, bevor ich’s überhaupt checke?
Lena: Genau. In den Experimenten konnte man schon vorher im Gehirn sehen, welche Hand jemand nimmt – noch bevor die Person selbst dachte: „Ich nehme die rechte Hand.“
Max: Klingt ja erst mal krass. Aber diese Experimente – da geht’s doch nur um super simple Sachen, oder? Links oder rechts, Knopf drücken oder nicht. Aber was ist mit komplizierteren Entscheidungen? So was wie: „Soll ich in der Mathearbeit schummeln?“ oder „Will ich mit dem Skateboard die Treppe runter springen?“
Lena: Ja, gute Frage. Die Versuche zeigen erst mal nur, dass unser Gehirn schneller ist als unser Bewusstsein. Aber Harris meint, das gilt auch für größere Entscheidungen. Unser Gehirn zieht unterbewusst Erfahrungen, Umweltfaktoren, Emotionen mit ein – und dann kommt erst unser Bewusstsein und denkt: „Ich hab mich entschieden.“
Max: Also macht mein Gehirn den ganzen Kram, und ich krieg’s am Ende nur mit?
Lena: So sieht’s Harris zumindest. Kein freier Wille – nur ein „Ich“, das denkt, es hätte entschieden.
Max: Okay, aber wenn das wirklich so wäre – warum kann ich dann manchmal überlegen und mich umentscheiden? Ich kenn das doch: Erst will ich eine Sache, dann denke ich nochmal drüber nach und mach doch was anderes.
Lena: Vielleicht war auch das schon vorherbestimmt. Deine „neue“ Entscheidung könnte einfach eine Folge neuer Einflüsse sein – ein Gespräch, eine Erinnerung, ein Gefühl, das sich verändert hat.
Max: Aber das heißt doch dann, dass ich nie wirklich eine Wahl habe! Egal, was ich entscheide – Harris könnte immer sagen: „Ja, dein Gehirn hat das eben so bestimmt.“ Ist das nicht ein Denkfehler? So kann ich ja nie beweisen, dass ich wirklich frei bin.
Lena: Guter Punkt. Das nennt man einen „Zirkelschluss“ – Harris sagt von vornherein: „Es gibt keinen freien Willen“, und egal, was du machst, er erklärt es immer so, dass es in seine Theorie passt. Kritiker finden das zu einfach. Sie sagen: Nur weil unser Gehirn manche Prozesse vorbereitet, heißt das nicht, dass unser Bewusstsein keine Rolle spielt. Vielleicht können wir ja doch beeinflussen, welchen Impulsen wir folgen – oder ob wir ihnen widerstehen.
Keine Verantwortung mehr für unser Tun?
Aber halt mal – wenn alles festgelegt ist, kann ich dann einfach machen, was ich will? Schließlich war es ja eh vorherbestimmt!
So einfach ist es nicht. Nur weil der harte Determinismus behauptet, dass wir keine freie Wahl haben, heißt das nicht, dass Konsequenzen nicht real sind. Stell dir vor, jemand begeht eine Straftat. Kann er sagen: „War nicht meine Schuld, mein Gehirn hat das so entschieden!“? Gesellschaftlich funktioniert das kaum – deshalb bleibt Verantwortung ein wichtiges Konzept und eine soziale Grundlage, selbst wenn der freie Wille eine Illusion sein sollte.
Wenn das alles so zutrifft, was bedeutet das dann für uns? Ist alles, was wir tun, nur das Ergebnis einer gigantischen Kausalkette, die wir nicht durchbrechen können? Oder gibt es einen Ausweg?

Willensfreiheit 2.0: Der weiche Determinismus
Mal angenommen, du stehst im Supermarkt vor dem Getränkeregal. Wasser oder Cola? Ein einfacher Griff, eine kleine Entscheidung. Doch hast du wirklich die Wahl? Der harte Determinismus würde sagen: nein. Deine Entscheidung für Cola oder Wasser wurde schon längst getroffen – durch deine Gewohnheiten, dein Geschmacksempfinden, deine Erziehung, vielleicht durch eine Werbeanzeige, die du unbewusst wahrgenommen hast.
Aber ist das die ganze Wahrheit?
Thomas Hobbes: Vorherbestimmt, aber trotzdem frei
Stell dir vor, du befindest dich in einem Fluss. Die Strömung trägt dich mit sich – mal schneller, mal langsamer, aber du kannst nicht einfach aus dem Wasser steigen. Dennoch kannst du paddeln, deine Richtung leicht beeinflussen, vielleicht ans Ufer steuern oder dich von einem Ast treiben lassen. Du bist nicht völlig frei, aber auch nicht völlig unfrei.
Genauso sieht es der englische Philosoph Thomas Hobbes (*1588) mit dem menschlichen Willen: Unsere Entscheidungen entstehen nicht aus dem Nichts. Sie sind das Produkt unserer Natur, unserer Vergangenheit, unserer Umgebung. Aber das bedeutet nicht, dass wir gar keinen Einfluss haben.
Ein berühmtes Beispiel, das diesen Gedanken veranschaulicht, ist der Löwe. Ein Löwe ist ein Raubtier. Sein ganzer Körper, sein Instinkt, seine Verdauung – alles ist darauf ausgelegt, Fleisch zu fressen. Deshalb würde niemand erwarten, dass ein Löwe plötzlich einen Salatteller bestellt. Aber wenn der Löwe eine Antilope sieht, kann er wählen, ob er sie sofort angreift, sich anschleicht oder vielleicht doch einfach faul in der Sonne liegen bleibt.
Was bedeutet das für uns?
Unsere Wünsche, Gedanken und Entscheidungen sind durch viele Faktoren vorgeprägt – durch unsere Biologie, unsere Erziehung, unsere Gesellschaft. Aber innerhalb dieses Rahmens haben wir Möglichkeiten.
Wie viel Freiheit steckt in unserer Unfreiheit?
Nehmen wir Max’ Unfall im Skatepark: War es wirklich zwangsläufig, dass er über die Rampe sprang? Oder hatte er innerhalb der Situation eine Wahl?
Ein harter Determinist würde sagen: Die Umstände – der Gruppenzwang, sein Stolz, sein Charakter – machten es unmöglich, dass er anders hätte handeln können.
Aber der weiche Determinismus würde erwidern: Ja, Max war von vielen Faktoren beeinflusst. Aber er hatte trotzdem Möglichkeiten. Er hätte anders reagieren können – wenn auch nicht völlig losgelöst von seiner Persönlichkeit, seinen Ängsten und seinem Umfeld.
Dasselbe gilt für Lena und ihre Hundesitter-Notlage: Ihre Hilfsbereitschaft ist tief in ihr verankert. Doch hätte sie nicht trotzdem Nein sagen können? Der weiche Determinismus sagt: Sie war nicht völlig unfrei – sie hatte eine Wahl, auch wenn diese durch ihr Pflichtgefühl und ihre Natur beeinflusst war.
Ein Spielraum, den wir nutzen können
Der weiche Determinismus ist eine Art Willensfreiheit 2.0: Er gibt zu, dass wir nicht völlig frei sind. Unsere Entscheidungen entstehen aus unserer Vergangenheit, unseren Erfahrungen, unseren Gewohnheiten. Doch innerhalb dieses Rahmens gibt es einen Spielraum. Wir sind nicht wie Figuren auf einem Schachbrett, die zwangsläufig nur einen vorgegebenen Weg gehen können. Aber wir sind auch keine grenzenlosen Götter.
Die Frage ist also nicht: Bin ich frei oder nicht?
Sondern: Wie viel Freiheit steckt in meiner Unfreiheit?
Und genau das schauen wir uns im nächsten Abschnitt an.

Der Existenzialismus: Total frei – aber um welchen Preis?
Wenn du dich jemals gefragt hast: „Warum muss ich das alles selbst entscheiden?“ – dann bist du mit einem der größten philosophischen Probleme überhaupt konfrontiert: der radikalen Freiheit.
Jean-Paul Sartre: Zur Freiheit verdammt
Für Sartre (*1905) ist klar: Der Mensch ist völlig frei.
Kein Gott, kein Schicksal, keine vorgegebene Moral schreibt uns vor, was wir tun sollen. Jeder von uns entscheidet in jedem Moment selbst, wer er ist.
Klingt erst mal gut. Keine Regeln, keine Grenzen, totale Selbstbestimmung!
Aber dann schlägt Sartre zu und sagt:
„Der Mensch ist dazu verdammt, frei zu sein.“3
Verdammt? Wieso denn das?
Ganz einfach: Wenn niemand sonst vorgibt, was richtig oder falsch ist, dann liegt alles bei uns. Jede Entscheidung, die wir treffen, ist unsere Verantwortung. Kein Wegweiser, keine Ausrede, keine Sicherheit.
Die Angst vor der Freiheit
Stell dir vor, du stehst vor unendlich vielen Türen, aber niemand sagt dir, durch welche du gehen sollst. Niemand ist da, um dir zu zeigen: „Das ist der richtige Weg.“
Was, wenn du dich falsch entscheidest?
Was, wenn du dein Leben in eine Richtung lenkst, die du später bereust?
Diese Unsicherheit nennt Sartre existenzielle Angst – das Gefühl, dass alles an uns hängt und es niemanden gibt, der uns sagen kann, was wir tun sollen.
- Max im Skatepark: War es seine freie Entscheidung, loszufahren? Oder fühlte er sich gezwungen?
Sartre würde sagen: Max war völlig frei – aber er wollte es nicht wahrhaben. Denn zuzugeben, dass er hätte Nein sagen können, bedeutet auch zuzugeben, dass er selbst für seine Entscheidung verantwortlich war. - Lena und Humboldt: Sie hätte Nein sagen können. Niemand hat sie gezwungen.
Aber: Sie fühlt sich, als hätte sie keine Wahl gehabt. Weil sie das Bild von sich als hilfsbereite Person aufrechterhalten wollte – weil sie nicht diejenige sein wollte, die eine alte Frau im Stich lässt.
Sartre sagt: Wir sind immer frei – aber wir tun oft so, als wären wir es nicht.
Denn Freiheit bedeutet Verantwortung. Und Verantwortung kann verdammt schwer sein.
Die Last der Verantwortung
Freiheit klingt nach Abenteuer, nach „Ich mach, was ich will“.
Aber in Wirklichkeit ist sie oft belastend.
- Es gibt keine festen Regeln, die dir sagen, was gut oder richtig ist.
- Du kannst niemand anderem die Schuld geben – es war immer deine Entscheidung.
- Du musst mit den Konsequenzen leben, egal ob du richtig oder falsch gehandelt hast.
Freiheit heißt also: Du bist dein eigenes Lebensprojekt.
Und das ist, glaubt mir … wahnsinnig anstrengend.
Kein Wunder, dass viele Menschen davor weglaufen. Dass sie sich sagen: „Ich hatte keine Wahl.“ Oder: „So bin ich eben.“
Denn wer einmal akzeptiert, dass er komplett frei ist, muss sich auch eingestehen, dass es keine Ausreden mehr gibt.
Und jetzt?
Wenn Sartre recht hat, dann gibt es keinen festen Plan für unser Leben.
Keinen Schutz durch höhere Mächte.
Keinen „richtigen“ Weg, den wir nur entdecken müssen.
Es gibt nur uns – und die Entscheidungen, die wir treffen.
Max’ Sturz? Seine Entscheidung.
Lenas Zusage? Ihre Entscheidung.
Ob wir unser Leben so oder anders leben? Unsere Entscheidung.
Freiheit kann erdrückend sein.
Aber – sie ist auch ein großes Geschenk.
Ob du willst oder nicht – dein Handeln zählt
Jetzt haben wir alles durchgekaut: Harter Determinismus, weicher Determinismus, radikale Freiheit. Wir haben uns gefragt, ob Max wirklich hätte anders handeln können, ob Lena „frei“ war, Ja zu sagen, und ob es nicht sowieso egal ist, weil unser Gehirn eh für uns entscheidet.
Aber halt – wenn wir wirklich nicht frei sind, wenn alles vorherbestimmt ist … warum tun dann alle so, als wären wir es?
Unsere Gesellschaft basiert auf Verantwortung
Denk mal an unser Rechtssystem. Es geht davon aus, dass wir für unser Handeln verantwortlich sind. Wenn jemand eine Straftat begeht, dann bestrafen wir ihn nicht einfach nur aus Prinzip, sondern weil wir sagen: „Du hättest anders handeln können.“
Doch wenn der harte Determinismus recht hat – stimmt das wirklich?
Stell dir vor, ein Richter sagt zu einem Angeklagten: „Nun, das war einfach Pech. Du konntest nicht anders, weil dein Gehirn und deine Umwelt dich genau hierher geführt haben. Dann lassen wir dich halt laufen.“
Wäre das fair? Oder absurd?
Unsere gesamte Gesellschaft funktioniert nach der Idee, dass wir Entscheidungen treffen können.
Wenn du dich anstrengst, kannst du deine Noten verbessern.
Wenn du nett bist, reagieren andere nett auf dich.
Wenn du Mist baust, musst du die Konsequenzen tragen.
Aber was wäre, wenn wir morgen alle davon überzeugt wären, dass wir gar nicht anders handeln können, als wir handeln?
Die Gefahr der Willenslosigkeit
Psychologische Studien4 legen nahe: Wenn Menschen glauben, dass sie keinen freien Willen haben, dann verhalten sie sich auch so:
- Sie neigen mehr dazu, zu schummeln.
- Sie übernehmen weniger Verantwortung.
- Sie sind eher bereit, unmoralisch zu handeln.
Ein Experiment hat außerdem gezeigt: Menschen, die gerade einen Text gelesen hatten, in dem der freie Wille als Illusion beschrieben wurde, haben danach deutlich mehr betrogen als die Kontrollgruppe.
Tja. Blöd.
Heißt das also, es ist gefährlich, an den Determinismus zu glauben?
Und was heißt das für den Alltag?
Angenommen, du schreibst eine wichtige Mathearbeit. Am Abend vorher hattest du eigentlich lernen wollen – aber irgendwie lief ein guter Film, dein Handy lag in Reichweite, und naja, es kam, wie es kommen musste: Du hast nichts gemacht. Am nächsten Tag sitzt du im Klassenzimmer und merkst, dass du kaum eine Aufgabe lösen kannst. Aber dann fällt dein Blick auf das offene Heft deines Sitznachbarn.
Hier kommt der entscheidende Moment. Denkst du: „Na gut, ich hätte ja lernen können, meine Schuld – dann schreib ich halt ’ne schlechte Note.“ Oder sagst du dir: „Naja, war ja eh klar, dass mein Gehirn sich gestern für den Film entschieden hat. Ich konnte ja gar nicht anders! Also kann ich auch abschreiben.“
Das ist das Problem: Wenn du wirklich glaubst, dass dein Wille nur Einbildung ist, dann fällt es dir viel leichter, Verantwortung abzuschieben. Und wenn alle so denken würden? Dann könnten wir uns aus allem rausreden: „Ich hab gelogen und betrogen – war nicht meine Schuld, meine Neuronen haben das halt so programmiert.“ Genau davor hat Immanuel Kant (*1724) gewarnt.
Immanuel Kant: Fake it till you make it
Kant (das ist der strenge Lehrer der Philosophie, der Wert auf Ordnung und Regeln legt) schlägt deshalb einen Trick vor: Vielleicht sind wir gar nicht wirklich frei – aber wir müssen uns so verhalten, als wären wir es. Das nennt er praktische Freiheit. Klingt fancy, heißt aber einfach: Damit wir überhaupt über richtig und falsch nachdenken können, brauchen wir das Gefühl, dass unsere Entscheidungen zählen.
Vielleicht ist also nicht entscheidend, ob wir frei sind – sondern wie wir mit dieser Frage umgehen.
Fazit: Also, sind wir jetzt frei oder nicht?
Ich rekapituliere:
- Spinoza würde sagen: „Nope, alles ist vorherbestimmt.“
- Sartre hingegen würde dir ins Gesicht lachen (oder dich verzweifelt anschauen) und sagen: „Natürlich bist du frei – und genau das ist dein Problem!“
- Kant würde streng gucken und sagen: „Ob du frei bist oder nicht, ist egal. Wichtig ist, dass du Verantwortung übernimmst.“
Und die Wahrheit? Liegt wie immer irgendwo dazwischen.
Vielleicht sind wir nicht so frei, wie wir gerne glauben. Vielleicht sind unsere Entscheidungen viel stärker von unserer Vergangenheit und unserer Biologie geprägt, als uns bewusst ist. Vielleicht gibt es in jedem Moment nur genau eine Möglichkeit, die wir wirklich wählen können.
Aber heißt das, dass wir unser Leben einfach so treiben lassen sollten?
Denn genau das ist es doch, was uns Menschen ausmacht: Wir kämpfen mit Entscheidungen. Wir zweifeln, überlegen, hadern. Und am Ende tun wir, was wir für richtig halten – ob es nun wirklich unsere freie Entscheidung war oder nicht.
Und vielleicht ist das die eigentliche Freiheit:
Nicht, dass wir alles unbeeinflusst bestimmen können, sondern dass wir unser Leben so gestalten, als könnten wir es.
Vielleicht ist es genau diese Illusion, die uns antreibt, die uns wachsen lässt – und die uns überhaupt erst zu den Menschen macht, die wir sind.
- Das Zitat stammt aus Arthur Schopenhauers Werk „Über die Freiheit des Willens“, das er 1839 als Preisschrift für die Königlich Norwegische Societät der Wissenschaften verfasste. ↩︎
- Das Zitat stammt aus Spinozas Hauptwerk „Ethik“, genauer aus dem dritten Teil „Über den Ursprung und die Natur der Affekte“ (De origine et natura affectuum). Es findet sich in der Anmerkung zu Lehrsatz 2 (Scholium Propositionis II). ↩︎
- Das Originalzitat „Der Mensch ist zur Freiheit verdammt“ stammt aus Jean-Paul Sartres berühmtem Vortrag „Der Existentialismus ist ein Humanismus“ (L’existentialisme est un humanisme), den er am 29. Oktober 1945 in Paris hielt. ↩︎
- Quelle: Vohs, C. L., Schooler, J. W., & Baumeister, R. F. (2008). The Value of Believing in Free Will: Encouraging a Belief in Free Will Increases Ethical Behavior. ↩︎
Hier ist eine Liste mit Literatur, die euch einen tieferen Einblick in das Thema Willensfreiheit ermöglicht:
- Arthur Schopenhauer – Die Welt als Wille und Vorstellung (1819)
Schopenhauer legt in diesem Werk seine Sicht dar, dass der menschliche Wille nicht frei ist, sondern von unserer Natur bestimmt wird – eine zentrale Idee im harten Determinismus. - Baruch de Spinoza – Ethik (1677)
In der Ethik zeigt Spinoza, dass alles in der Welt, einschließlich unserer Entscheidungen, durch die Naturgesetze bestimmt ist. Er behauptet, dass unser Gefühl von freiem Willen eine Illusion ist, da unsere Handlungen unvermeidlich das Resultat einer langen Kausalkette sind. Seine Sichtweise fordert uns heraus, darüber nachzudenken, inwiefern wir wirklich Einfluss auf unser Tun haben. - Thomas Hobbes – Leviathan (1651)
Hobbes argumentiert ebenfalls, dass alle menschlichen Handlungen notwendigerweise das Ergebnis einer Kausalkette sind. Gleichzeitig sieht er jedoch einen Spielraum für individuelle Wahlmöglichkeiten innerhalb vorgegebener Naturgesetze – ein Konzept, das als „weicher Determinismus“ bezeichnet wird. Damit wird deutlich, dass wir zwar in einem vorbestimmten Rahmen handeln, aber dennoch „frei“ in unseren Möglichkeiten sind. - Jean-Paul Sartre – Das Sein und das Nichts (1943)
Sartre betont die radikale Freiheit des Menschen und stellt fest, dass wir in jedem Moment selbst für unsere Entscheidungen verantwortlich sind – ohne Ausreden. Diese Freiheit ist auch eine Last, denn sie bedeutet, dass wir ständig mit der Unsicherheit leben müssen, ob wir den richtigen Weg wählen. Sein Existenzialismus fordert uns auf, unser Leben als ein fortwährendes Projekt der Selbstgestaltung zu begreifen. - Sam Harris – Free Will (2012)
Harris argumentiert, dass unser Gehirn Entscheidungen trifft, bevor wir uns dieser bewusst werden – ein Befund, der aus neurowissenschaftlichen Experimenten stammt. Dieser Ansatz legt nahe, dass der freie Wille nur eine Illusion ist, da unsere Handlungen unbewusst determiniert werden. Harris stellt somit die Frage in den Raum, inwieweit wir wirklich die Kontrolle über unser Handeln besitzen. - Immanuel Kant – Kritik der praktischen Vernunft (1788)
In diesem Werk untersucht Kant, wie der freie Wille in unser moralisches Handeln hineinspielt. Er argumentiert, dass wir moralisch verantwortlich sein können, weil wir uns so verhalten, als hätten wir die Freiheit, zu entscheiden – auch wenn unsere Erkenntnisse begrenzt sind. Für Kant ist der Glaube an den freien Willen eine notwendige Voraussetzung für eine ethisch vertretbare Gesellschaft.
Sapere aude! 🙂
Und jetzt seid ihr wieder dran: Die PhiloLounge gibt euch eine Bühne für euer ganz eigenes Gedanken-Stand-up. Hier gibt es keine falschen Antworten, nur euren persönlichen Blick auf die Welt. Lasst euren Gedanken freien Lauf und teilt sie mit uns — Ich bin gespannt, was ihr zu sagen habt!
Meine Fragen an eure Runde:
- Wie sehr beeinflussen Social Media, Werbung und Trends eure Entscheidungen?
- Kann man „sich selbst ändern“ – oder ist das eine Illusion?
- Was macht es mit uns, wenn wir glauben, keinen freien Willen zu haben?
- Sind Menschen, die sich vollkommen frei fühlen, glücklicher?
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